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IV. Beruf und öffentliches Leben. 
wieviel es an der Zeit sei. Auch meine ich noch jetzt, man solle in dem 
Lebensalter, wo der Ernst des Daseins beginnt, jeden lehren, genau auf 
die Zeit achtzuhaben; denn die Zeit ist das kostbarste Gut, wenn man 
rechtschaffen damit haushält. Eine Uhr in der Tasche kann viel dazu 
beitragen, an Pünktlichkeit und sorgsame Benutzung der Zeit zu ge¬ 
wöhnen. 
Es nahten die Weihnachtstage. Ich war schon alt genug, um zu 
wissen, daß der heilige Christ nicht, im buchstäblichen Sinne genommen, 
durch die Luft dahergeflogen kommt und allerlei Geschenke bringt, sondern 
daß der heilige Christ die innige Liebe, der gute Geist in den Herzen 
der Angehörigen ist, die still und heimlich darauf denken, einander zu 
erfreuen und zu beglücken. Wie selig geht da jedes umher, lauscht dem 
andern seine verborgenen Wünsche ab, kann sich fast nicht halten, das 
Geheimnis zu bewahren, und ist doch wieder voll Freude, im stillen zu 
wirken und zu schaffen für das andere. Wo das der Fall ist, kann man 
wohl sagen: Der heilige Christ schwebt in der Luft des Hauses. 
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als daß mir zu Weihnachten 
eine Uhr beschert würde, ließ das aber keine Menschenseele merken; 
nicht einmal meiner immer seelenfrohen Schwester Minna sagte ich'ein 
Wort davon. Wenn aber nur von einer Uhr die Rede war, zitterte ich 
vor Angst, und wenn man zufällig fragte: „Wieviel Uhr ist's?" war ich 
ganz böse. Das muß mich verraten haben; denn hört, wie mir's er¬ 
gangen ist. 
Eines Mittags, als ich in die Stube trete und schon in der Türe 
stehe, höre ich, wie mein Vater der Mutter zuruft: „Frau, tue schnell 
Adams goldene Repetieruhr weg!" Er wickelt nun schnell etwas in ein 
Papier und versteckt es. Meine Mutter sah betrübt aus; ich aber tat, 
als ob ich gar nichts gesehen und gehört hätte, und war überaus heiter. 
Von nun an ging ich stolz durch die Straßen und meinte, jeder müsse 
mir's ansehen, welch eine goldene Zukunft ich habe. Es tat mir nur 
leid, daß man die Uhren in der Tasche trägt, so verborgen und nicht 
offen vor aller Welt, und — so leicht wird man von der Eitelkeit be¬ 
trogen — daß ich mir einredete, das wäre viel menschenfreundlicher, 
wenn man die Uhren öffentlich tragen würde; denn da könnten auch die 
armen Leute immer genau die Stunden und Minuten sehen. 
Jeder, der es erschwingen und darauf achthaben kann, hat eine 
eigene Uhr verborgen in der Tasche, und diese richtet und stellt er von 
Zeit zu Zeit nach der großen Uhr an dem Kirchturme, und die Uhr am 
Kirchturme wird nach der Sonne gerichtet, deren Lauf Gott von Ewig¬ 
keit her festgesetzt, und die Menschen können weiter nichts tun, als Stäbe 
zur Sonnenuhr bilden, daran sie am Schatten den Stand des allgemeinen, 
ewigen Lichtes wahrnehmen.
	        
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