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II. Familie und Heimat.
als alle übrigen Kinder, und sie scheinen besser genährt; und doch, höre
ich, seid ihr sehr arm. Was willst du, meine Tochter?"
. „O gnädiger Herr! mein Mann ist längst dem Vogt Hummel
dreißig Gulden schuldig; und das ist ein harter Mann. Er verführt ihn
zum Spiel und zu aller Verschwendung; da er ihn fürchten muß, so
darf er sein Wirtshaus nicht meiden, wenn er schon fast alle Tage
seinen Verdienst und das Brot seiner Kinder darin zurücklassen muß.
Gnädiger Herr! es sind sieben unerzogene Kinder. Ohne Hilfe und
ohne Rat müssen wir an den Bettelstab geraten. Und ich weiß, daß
Sie sich der Witwen und Waisen erbarmen, und darum durfte ich es
wagen, zu Ihnen zu gehen und Ihnen unser Unglück zu sagen. Ich
habe aller meiner Kinder Spargeld bei mir, in der Absicht, es Ihnen
zu hinterlegen, damit ich Sie bitten dürfte, Verfügungen zu treffen, daß
der Vogt meinen Mann, bis er bezahlt sein wird, nicht mehr drängen
und Plagen dürfe."
Arner hatte längst einen Verdacht auf Hummel. Er erkannte sogleich
die Wahrheit dieser Klage und die Weisheit der Bitte. Er nahm eine
Schale Tee, die vor ihm stand, und sagte: „Du bist nüchtern, Gertrud?
Trink diesen Tee, und gib deinem schönen Kinde von dieser Milch."
Errötend stand Gertrud da. Diese Vatergüte ging ihr ans Herz,
daß sie ihre Tränen nicht halten konnte.
Und Arner ließ sich jetzt die Taten des Vogts und seiner Mit¬
gesellen und die Not und die Sorgen vieler Jahre erzählen, hörte auf¬
merksam zu, und einmal fragte er sie: „Wie hast du, Gertrud, das
Spargeld deiner Kinder retten können in aller dieser Not?"
Da antwortete Gertrud: „Das war wohl schwer, gnädiger Herr,
aber es mußte mir sein, als ob das Geld nicht mein wäre, als ob es
ein Sterbender mir auf seinem Totenbette gegeben hätte, daß ich es
seinen Kindern aufbehalten sollte. So, fast ganz so, sah ich es an. Wenn
ich zu Zeiten in der dringendsten Not den Kindern Brot daraus kaufen
mußte, so ruhte ich nicht, bis ich mit Nachtarbeit wieder so viel nebenbei
erspart und den Kindern wieder erstattet hatte."
„War das allemal wieder möglich, Gertrud?" fragte Arner.
„O gnädiger Herr! wenn der Mensch sich etwas fest vornimmt, so
ist ihm mehr möglich, als man glaubt, und Gott hilft im äußersten
Elend, wenn man redlich für Not und Brot arbeitet, gnädiger Herr!
mehr, als Sie es in ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen können."
Arner war durch und durch von der Unschuld und Tugend dieses
Weibes gerührt, fragte aber immer noch mehr und sagte: „Gertrud, wo
hast du dieses Spargeld?"
Da legte Gertrud sieben reinliche Päckchen ans Arners Tisch, und
bei jedem Päckchen lag ein Zettel, von wem alles wäre; wenn Gertrud