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I. Lebensbilder.
er gab sich ihr mit Freude und Interesse hin. Er bekam tiefere Einsicht
in das Wesen des Buchhandels und erkannte sehr bald, daß die Kenntnis
der litterarischen Bedürfnisse in den verschiedenen Gegenden Deutschlands
für den Buchhändler von besonderer Wichtigkeit sei.
Ein Jahr nach Rabenhorsts Abgang hatte Perthes sich schon tüchtig
eingearbeitet und das Bertrauen seines Lehrherrn in dem Grade gewonnen,
daß ihm dieser während einer mehrwöchentlichen Abwesenheit das Geschäft
anvertraute. Die Verwaltung desselben lief so vortrefflich ab, daß sein
Prinzipal ihm als Anerkennung seiner Verdienste ein Paar — seidene
Strümpfe verehrte.
Perthes fühlte es mehr und mehr, daß sein Lehrherr ihn nicht über
das Handwerksmäßige hinaus in seinem Berufe fördern könne; aber dieses
befriedigte ihn nicht. Was er also bei ihm nicht finden konnte, suchte er
sich selbst zu erarbeiten. Seit dem Jahre 1790 erwachte in ihm der
Trieb nach wissenschaftlicher Beschäftigung mit großer Lebhaftigkeit, aber
überall wurde der Mangel an Zeit und Geld ihm hemmend. Jede Weih¬
nachten schenkte ihm sein Lehrherr zwei Speziesthaler; das war das
Taschengeld für das kommende Jahr. Als außerordentlicher Glücksfall
trat zuweilen ein Geschenk des Oheims in Gotha hinzu. Die einzigen
freien Stunden waren morgens vor 7 und abends nach 9 Uhr. Er
wünschte es sehr, Sprachunterricht zu nehmen, aber einen Sprachlehrer
konnte er nicht bezahlen, und das Selbststudium des Englischen und Fran¬
zösischen abends nach 9 Uhr wurde durch Müdigkeit oft unterbrochen.
Die herrschende Zeitrichtung damals verlangte vor allem, daß man ein
Philosoph sei, und Perthes las denn auch eifrig solche Schriften mit der
Feder in der Hand. Zu einem Philosophen wurde er freilich durch dies
mühselige Arbeiten nicht, aber Verstand und Urteil gewannen an Schärfe.
Alle Arbeiten, mit denen er sich außerhalb seines Berufes beschäftigte,
alle Stimmungen, die sein Inneres bewegten, fanden einen Ausdruck in
den Briefen an Oheim und Tante. Eine Freude ist es, aus diesen Mit¬
teilungen zu sehen, welch' ernstes Streben den Jüngling beseelte, immer
besser und vollkommener zu werden. Oftmals glaubte er mit inniger
Überzeugung und wahrer Aufrichtigkeit sagen zu können, daß er in dem
Streben, vollkommen zu werden, vorwärts gekommen sei. Solche „licht-
helle Stunden" wechselten aber zu anderen Zeiten mit der Erkenntnis,
daß er oftmals rechts und links von dem rechten Wege weiche. „Ein
Heuchler wäre ich," schreibt er einst seinem Onkel, „wenn ich genaues
Befolgen meiner Grundsätze Ihnen versichern wollte. Bald siegt Leiden¬
schaft, bald Gewohnheit, bald ein mir anhängender Leichtsinn des Blutes,
der mit der Bedächtigkeit des Kopfes ganz in Widerspruch steht." Ja
der Jüngling hatte Zeiten, in denen er völlig entmutigt jede Hoffnung
aufgab, die Bestimmung des Menschen zu erfüllen. „Wahrlich," schrieb
er, „ich muß mächtig kämpfen, wenn alles, was Unfrieden gebiert, aus
meinem Innern heraus soll, denn leider alle bösen Neigungen schlafen
nur, um bei erster Gelegenheit mit desto größerer Gewalt los zu brechen.
Wie oft habe ich meine Verkehrtheit beseufzt, wenn ich kurz vorher mir