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war aber der Held Alcinous. Der hatte eine Tochter, mit Namen Nau-
sikaa, welche eine fleißige Jungfrau war. Sie wollte am Morgen die Ge¬
wänder und Leibröcke ihrer Brüder waschen und ließ die Maulthiere vor den
Wagen spannen, setzte sich mit ihren Gespielinnen hinein und fuhr nach dem
Flusse, an dessen Ufer sich Odysseus verborgen hatte. Die Mädchen legten die
Wasche in viereckige mit Wasser gefüllte Löcher, stampften sie darin und brei¬
teten, sie dann aus dem weißen Sande aus. Hierauf erfrischten sie sich durch
ein Bad ^und salbten sich mit glanzendem Oel; dann begannen sie ein Ball¬
spiel. Schon wollten sie wieder nach Hause zurückkehren, da warf noch einmal
Nausikaa den Ball einer ihrer Freundinnen zu, aber diese fing ihn nicht und
der Ball fiel in's Wasser. Da erhoben die Mädchen ein großes Geschrei, das
den schlafenden Odysseus erweckte. Jetzt trat er nackt, von Schlamm, Meer¬
gras und Blättern verunstaltet hervor. Die Mädchen flohen bei dem Anblick
der seltsamen Gestalt entsetzt von dannen, doch der Nausikaa flößte Athene
Muth in die Seele, daß sie es wagte, die flehende Anrede des Fremdlings zu
hören. Dieser schilderte in mitleiderregenden Worten sein trauriges Schicksal
und bat flehentlich um ein Stück Zeug zur Bekleidung. Die gerührte Nausikaa
sprach ihren Freundinnen Muth ein und ließ dem Odysseus Leibrock und
Mantel nebst Salböl in goldener Flasche reichen. Hocherfreut stieg nun der
Held, während die Mädchen sich entfernten, in den Strom, um sich zu baden,
und als er sich gereinigt hatte von dem Schlamm des Meeres, salbte er seinen
Körper und legte die köstlichen Gewänder an. Sein Schutzgöttin erhöhete die
Größe und die Fülle seiner Gestalt und ließ sein Haar in Locken von seinem
Scheitel wallen. So stand er, vorher noch der unansehnliche Fremdling, in
jugendlicher Kraft und Schönheit vor den erstaunten Mädchen, deren Blicke
voll Verwunderung auf dem herrlichen Manne ruhten. Nachdem sich Odysseus
durch Speise und Trank erquickt, folgte er den Mädchen zur Stadt; doch
Nausikaa lief voraus, denn sie schämte sich mit dem fremden Manne heim¬
zukehren.
Athene selbst, in der Gestalt eines Mädchens mit einem Wafserkrug, zeigte
ihm den Weg zum königlichen Palast, in welchem Alles vom Glanz des Goldes
und Silbers strahlte. Odysseus nahete flehend der am Heerde sitzenden Königin
und bat, ihre Knie umfassend, um gastliche Aufnahme. Dann setzte er sich, der
Antwort harrend, auf den Heerd; doch alsbald trat König Alcinous selbst zu
ihm und führte ihn zu einem prächtigen Sessel. Von nun an ward Odysseus
geehrt wie ein Fürst und er durfte in des Königs Palast leben wie in seinem
eigenen.
Zur Ehre des fremden Gastes wurden Spiele und heitere Feste angestellt
und es erschien ein Sänger, der sang von dem Kriege gegen Troja, von dem
hölzernen Roß, durch welches die stolze Veste erobert ward, von der Klugheit
des Odysseus. Niemand ahnte, daß der Held selber gegenwärtig sei. Als man
ihn aussorderte, auch Etwas der Versammlung zu erzählen, da bewegte es
dem Helden das Hrrz und er begann seine Rede und erzählte nun Alles, was
er selber erlebt vom Falle Troja's an, bis dahin, wo er aus der Insel der
Phäaken landete. Mit staunendem Entzücken lauschten die Versammelten seiner
Rede und als die Erzählung geendet, herrschte tiefe Stille im Kreise. Endlich
erhob sich Alcinous und sprach: „Heil dir, edelster der Gäste, den mein könig¬
liches Haus jemals bewirthet hat! Da du zu mir gekommen bist, so hoffe ich,
du werdest nicht mehr von der rechten Bahp abirren und bald in deine Heimath