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IV. Aus der weiten Welt.
Weg vom Schlosse hinunter. Die Türken hingegen galoppieren einen
jähen Abhang mit scharfem Geröll hinab, wie wir eine Sandhöhe .hinan;
die dünnen, ringförmigen, kalt geschmiedeten Eisen schützen den Huf
vor jeder Beschädigung, und die Pferde, an solche Ritte gewöhnt, machen
keinen falschen Tritt. Am Ausgange des Ortes haben die Agas den
Scheich beinahe schon ereilt; aber jetzt sind sie in der Ebene, der
Araber ist in seinem Elemente und jagt fort in gerader Richtung; denn
hier hemmen weder Gräben noch Hecken, weder Flüsse noch Berge
seinen Lauf. Wie einem geübten Jockei, der beim Rennen führt, kommt
es dem Scheich darauf an, nicht so schnell, sondern so langsam wie
möglich zu reiten. Indem er beständig nach seinen Verfolgern umblickt,
hält er sich auf Schußweite von ihnen entfernt; dringen sie auf ihn ein,
so beschleunigt er seine Bewegung; bleiben sie zurück, so verkürzt er
die Gangart des Tieres; halten sie an, so reitet er Schritt. In dieser
Art geht die Jagd fort, bis die glühende Sonnenscheibe sich gegen
Abend senkt; da erst nimmt er alle Kräfte seines Rosses in Anspruch;
er lehnt sich vornüber, stößt die Fersen in die Flanken des Tieres und
schießt mit einem lauten „Jallah“ davon. Der feste Rasen erdröhnt
unter dem Stampfen der kräftigen Hufe, und bald zeigt nur noch eine
Staubwolke den Verfolgern die Richtung an, in welcher der Araber
entfloh.
Hier, wo die Sonnenscheibe fast senkrecht zum Horizont hinab¬
steigt, ist die Dämmerung äußerst kurz, und bald verdeckt die Nacht
jede Spur des Flüchtlings. Die Türken, ohne Lebensmittel für sich,
ohne Wasser für ihre Pferde, finden sich wohl zwölf oder fünfzehn
Stunden von ihrer Heimat entfernt in einer ihnen ganz unbekannten
Gegend. Was war zu tun, als umzukehren und dem erzürnten Herrn
die unwillkommene Botschaft zu bringen, daß Roß und Reiter und Geld
verloren seien! Erst am dritten Abend treffen sie, halb tot vor Er¬
schöpfung und Hunger, mit Pferden, die sich kaum noch schleppen, in
Mardin wieder ein; ihnen bleibt nur der traurige Trost, über dieses
neue Beispiel von Treulosigkeit eines Arabers zu schimpfen, wobei sie
jedoch genötigt sind, dem Pferde des Verräters alle Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen und einzugestehen, daß ein solches Tier nicht
leicht zu teuer bezahlt werden kann.
Am folgenden Morgen, als eben der Imam zum Frühgebet ruft,
hört der Pascha Hufschlag unter seinen Fenstern, und in den Hof reitet
ganz harmlos unser Scheich. „Sidi!“ ruft er hinauf, „Herr! willst du
dein Geld oder mein Pferd?-'
Helmut von Moltke.