Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

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Auch eine fröhliche Traumdämmerung aus der Kindheit schwebt mir 
noch lebendig vor und kommt zuweilen fast wie ein überirdisches Gesicht 
noch über mich. Ich war an einem schönen Sommertag in dem Blumen¬ 
garten auf einem Steige zwischen grünen Bnxusbäumen eingeschlafen und 
erwachte gegen den Abend, als die sinkende Sonne golden durch die Bäume 
schien und die hohen Bnxus um mich mit Rosenrot übergoß, und sah halb 
im Wachen, halb im Träumen mit unbeschreiblichem Entzücken zwei schnee¬ 
weiße Tauben im Goldglanz mitten in der Sonne schweben. Diese Sonne, 
und zwar in unendlicher Größe, nebst den beiden schneeweißen, von ihr 
mit Gold übergossenen Tauben darin, ist mir als anmutiger Traum oft 
noch in späteren Jahren wiedergekommen. Ich habe die Stelle im Garten 
als Mann wiedergesucht und wiedergefunden; der Bnxus war noch da, 
aber der Baum nicht mehr, der seine Rosenüpfel über den Steig und den 
lauschenden Knaben herabhängte. Ich hatte damals wirklich ein paar- 
schöne schneeweiße Taitben von der Art der sogenannten Trommler, meine 
und meiner Mutter Lieblinge, die sich in einem Zimmer neben meinem 
Schlafstübchen im Kamin ein Nest gebaut hatten, indem eine zerbrochene 
Fensterraute ihnen das Zimmer öffnete. Sie hatten dort ein Paar- 
Sommer ihre Wirtschaft, und ich hatte das Amt, sie zu füttern. Über¬ 
haupt war meine höchste Freude bis zum Ende des sechzehnten Jahres 
das Spiel mit Tauben, und darum haben diese anmutigen und in vielen 
ihrer Neigungen und Triebe dem Menschen ähnlichen Tierchen noch jetzt in 
Träumen häufig die Rolle, daß ich die allerschönsten mit Entzücken heran¬ 
fliegen sehe und zuweilen mit noch größerem Entzücken im Schlage einsänge. 
Wir Landjungen jagten uns natürlicherweise viel mit Füllen, Kälbern, 
Gänsen, Hühnern und Tauben herum. Vorzüglich war es aber eine Be¬ 
lustigung für das flatternde Knabenherz, von dem Speicher des alten 
Hauses, wo Korn, Spreu, Flachs in Haufen nebeneinanderlagen, die 
Hühner herunterzujagen, indem wir sie so einsperrten, daß sie nicht die 
Treppen, ans denen sie hinanfgeschlichen waren, hinnnterflattern konnten, 
sondern durch die Luken des Daches hoch über den Garten durch die 
Luft hinfliegen mußten. Nun begab es sich, daß ich im Garten durch 
die Kartoffelfeldchen einmal zu einem Birnbaum ging, der mir seine 
gelben Früchte zeigte — und was zeigte sich mir da noch mehr? Ein 
totes Huhn mit einem Hanfgewirr um den Fuß, an einer Kartoffelstaude 
hangend. Mich überfiel bei dem Anblick Angst und Schrecken. Vielleicht 
war es ein Huhn unserer beliebten Speicherjagd, es mochte sich in dem 
wildert Herumflattern seinen Füßen Werg angehängt haben, und mit diesem 
war es zufällig an dem Kartoffelstengel fest geworden und jämmerlich ver¬ 
hungert. Mir hat jenes tote Huhn ganze Nächte keine Ruhe gelassen, 
es schwebte seine Leiche wie ein mahnendes Gespenst vor mir. Ich jagte 
forthin nicht mehr auf dem Speicher — mochte damals ein neunjähriger 
Bube sein.
	        
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