§. 94. Bertlcale ©Ktbetung und Bewässerung.
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verödet, z. B. St. Valery, westlich von Dieppe, von wo aus
Wilhelm der Eroberer nach England gieng. Dieppe selbst hat fast
nur noch Küstenverkehr.
Jenseits der Marschen an der Somme, wo Abbeville die Grenze
der Seeschiffahrt bezeichnet, beginnt die Dünenkette, welche theilweise zu
Inseln zerbrochen, die Süd- und Südostküste der Nordsee bis zur Nord-
spitze von Jütland umsäumt. Auch hier haben sie die Häfen verschüttet
oder landeinwärts wandernd die Fluren verheert. So hat z. B. Wissant
in der Nähe des Cap Gris Nez, in den französisch-englichen Kriegen
des Mittelalters viel genannt, seinen Hafen gänzlich verloren. Bou-
logne und Calais sind auf dieser Strecke die einzigen Häfen, beide
aber für die großen Kriegsschiffe der Gegenwart nicht zugängig, so
daß Frankreich mithin an seiner gesammten Canalküste nur einen KriegS-
hafen besitzt und dadurch gegen England in großem Nachtheil steht.
Die hohe Blüthe, deren sich beide Städte erfteuen, verdanken sie ledig¬
lich ihrer Lage an der schmälsten Stelle (5 Meilen) des Canals. — So
sehen wir also, wie einerseits Frankreich zwar auf das Meer hingewiesen
ist, andererseits aber an den meisten Stellen sich erst Häfen schaffen mußte
oder nur mit ungeheuren Anstrengungen die einmal vorhandenen erhalten
kann. Daher hat das Land nie bedeutendes in der Seeschiffahrt ge¬
leistet, und während im benachbarten England die Flotte ein wahrhaft
nationales, mit Stolz und Lust gepflegtes Institut ist, wird sie in Frank¬
reich mehr als ein Gegenstand politischer Nothwendigkeit angesehen.
Vcrlicale Gliederung und Bewässerung. Ehe wir §
die Bodengestaltung des eigentlich französischen Landes näher betrachten,
wollen wir die fast ununterbrochene Gebirgsmauer näher kennen lernen,
welche das Land von seinen östlichen Nachbaren trennt. Zwischen
Italien und Frankreich thürmt sich der Grenzwall des westlichen
Alpenflügels bis zum Montblanc hinauf und senkt sich steil.und
ohne Vorbcrgc nach Italien hinab, während nach dem Rhonegebiete hin
zahlreich ausgesandte Beste das Gebirge gliedern und zur Ansammlung
größerer Flüsse mit weiteren Thälern Veranlassung geben. Daher sind
die Alpen von dieser Seite her leichter zu überschreiten als von Italien
aus. Hannibal z. B. überschritt das Gebirge von der Rhone aus schon
im Jahre 218; die Römer aber haben erst zur Zeit Cäsars und Augustus
die Alpenpassagen benutzt und begnügten sich bis dahin mit der Küsten¬
straße (via Aurelia) von Nicaea nach Massilia. Niemals hat später
Italien über die Alpen» Hebelgriffe ins gallische Land zu machen versucht,
wohl aber ist, wie einst im Alterthume die Gallier, so das jetzige
Königsgeschlecht des Landes vom Westen her mit seinen Eroberungen
allmählich vorgedrungen. Im Mittelalter aber dienten die Pässe dieses
Zuges nicht blos für den Verkehr zwischen Westen und Osten; sondern
da die Pässe der Schweiz, namentlich der St. Gotthart, noch nicht auf¬
geschlossen waren, so gieng auch der Gesammtverkehr von dem westlichen
Deutschland bis zur Elbe hin nach Italien durch das burgundische Land
und über diese Alpenpässe. Sie, so wie der Besitz von Burgund waren
Gut he, Schulgeographie. ZI