214 
ganz übersehen kann. Da schossen sie zum letztenmal auf einander, und 
da ist auch dem Wilhelm eine Kugel mitten durch die Brust gegangen, 
wie der Kamerad schrieb, und ist er da begraben mit vielen, vielen andern 
aus Deutschland. — Das ist meine Geschichte. Den Franzosen aber 
kurierten wir aus, und mein Alter gab ihm einen Zehrpfennig und brachte 
ihn an das Tor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch meine 
Jungen gezogen waren, sah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus, 
murmelnd: „Nit raus, nit raus!" — Gott hab' ihn selig, den Mann, es 
war ein wunderlicher, dein Vater, Annchen." 
K. F. Meyer. 
Konrad Ferdinand Meyer, 1825 in Zürich als Sohn eines Regierungsrates 
geboren, studierte die Rechte. Zur Kräftigung seiner Gesundheit hielt er sich längere Zeit in 
Lausanne, Genf, Paris und Italien auf. Er lebte seit 1870 auf seiner Besitzung in Kilchberg 
bei Zürich, wo er 1898 gestorben ist. 
Abendwolke. 
Die Ruder sind entschlafen, 
Die Schifflein sind im Port. 
So stille ruht im Hafen 
Das tiefe Wasser dort, 
Nur oben in dem Äther 
Der lauen Maiennacht, 
Dort segelt noch ein später 
Friedfert'ger Ferge sacht. 
Die Barke still und dunkel 
Fährt hin im Dämmerschein 
Und leisem Sterngefunkel 
Am Himmel und hinein. 
Einem Tagelöhner. 
Lange Jahre sah ich dich 
Führen deinen Spaten, 
Und ein jeder Schaufelstich 
Ist dir wohlgeraten. 
Nie gelodert hat die Glut 
Dir in eig'nem Herde; 
Doch du fußtest fest und gut 
Auf der Mutter Erde. 
Nie hat dir des Lebens Flucht 
Bang' gemacht, ich glaube, — 
Sorgtest für die fremde Frucht, 
Für die fremde Traube. 
Nun hast du das Land erreicht, 
Das du fleißig grubest; 
Laste dir die Scholle leicht, 
Die du täglich hubest!
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.