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ganz übersehen kann. Da schossen sie zum letztenmal auf einander, und
da ist auch dem Wilhelm eine Kugel mitten durch die Brust gegangen,
wie der Kamerad schrieb, und ist er da begraben mit vielen, vielen andern
aus Deutschland. — Das ist meine Geschichte. Den Franzosen aber
kurierten wir aus, und mein Alter gab ihm einen Zehrpfennig und brachte
ihn an das Tor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch meine
Jungen gezogen waren, sah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus,
murmelnd: „Nit raus, nit raus!" — Gott hab' ihn selig, den Mann, es
war ein wunderlicher, dein Vater, Annchen."
K. F. Meyer.
Konrad Ferdinand Meyer, 1825 in Zürich als Sohn eines Regierungsrates
geboren, studierte die Rechte. Zur Kräftigung seiner Gesundheit hielt er sich längere Zeit in
Lausanne, Genf, Paris und Italien auf. Er lebte seit 1870 auf seiner Besitzung in Kilchberg
bei Zürich, wo er 1898 gestorben ist.
Abendwolke.
Die Ruder sind entschlafen,
Die Schifflein sind im Port.
So stille ruht im Hafen
Das tiefe Wasser dort,
Nur oben in dem Äther
Der lauen Maiennacht,
Dort segelt noch ein später
Friedfert'ger Ferge sacht.
Die Barke still und dunkel
Fährt hin im Dämmerschein
Und leisem Sterngefunkel
Am Himmel und hinein.
Einem Tagelöhner.
Lange Jahre sah ich dich
Führen deinen Spaten,
Und ein jeder Schaufelstich
Ist dir wohlgeraten.
Nie gelodert hat die Glut
Dir in eig'nem Herde;
Doch du fußtest fest und gut
Auf der Mutter Erde.
Nie hat dir des Lebens Flucht
Bang' gemacht, ich glaube, —
Sorgtest für die fremde Frucht,
Für die fremde Traube.
Nun hast du das Land erreicht,
Das du fleißig grubest;
Laste dir die Scholle leicht,
Die du täglich hubest!