Full text: [Theil 3, [Schülerbd.]] (Theil 3)

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Daher der Rebcnblüte Duft, 
Der Glühwurm webt die lichte Bahn 
Im Dunkel an des Turms Gemäuer, 
Und droben glühn mit tiefem Feuer 
Die Sterne räthselhaft mich an. 
Dies ist die Stunde, da das Lied 
Der Sehnsucht durch die i'üfte zieht, 
Die tief in Wald, Gestein und Flur 
Der Kern ist aller Creatur, 
Der Sehnsucht, die durch Felsen dicht 
Den Quell emporzwingt an das Licht, 
Die nach dem Himmel aus dem Wald 
Mit tausend grünen Armen greift, 
Aus hartem Stein als Echo hallt, 
Im irren Wind die Welt umschweift, 
Die aus der Nachtigallen Kehle 
Im Silberton hinperlend quillt 
Und aus der Blumen Auge mild 
Dich anschaut mit der stummen Seele. 
O Sehnsucht, die du, wie ein Kind 
In Schlaf gelullt durch süße Lieder, 
Doch stets aufs neu erwachst und wieder 
Zu weinen anhebst leis und lind, 
Wie nimmst du heut niir Herz und Sinn 
Mit deiner Klage ganz dahin! 
Mir ist's, ich müßte Flügel heben 
Und körperlos ins Weite schweben; 
Verschenken müßt' ich wonniglich 
Mein bestes Sein, mein tiefstes Ich; 
Den ganzen Schatz der vollen Brust, 
Andacht und Liebe, Schmerz und Lust, 
Der innersten Gedanken Hort 
Ich nlüßt' ihn in ein einzig Wort 
Als wie in güldnen Kelch beschließen, 
Um ihn verschwendrisch hinzugießen. 
Umsonst! Kein Wort, sei'S noch so 
groß, 
Macht dich des tiefen Dranges los, 
Den heißen Durst der Seele stillt 
Kein Brunnen, der auf Erden quillt. 
Wohl wähnt' ich einst in goldncn. 
Stunden 
In meines Herzens Maienzeit, 
Des Räthsels Lösung sei gefunden, 
Und Minne heile jedes Leid; 
Doch was so hoch mir war, so lieb, 
Mir ward es — und die Sehnsucht 
blieb. 
Darum zur Ruh, mein wild Gemüth k 
Nicht alles wird hier Frucht, was blüht; 
Du trägst, der Erde stummer Gast, 
In dir, was nur der Himmel faßt. 
Was für und für so ruhelos 
Dich dunkel treibt auf deinen Wegen, 
Es ist das erste Flügelregen 
Des Falters in der Puppe Schoß; 
Dir selbst bewußt kaum, ist dein Leid 
Ein Heimweh nach der Ewigkeit. 
161. 
Traum des Galilei. 
Von Engel. 
Der Philosoph für die Welt. Berlin 1801. 
2. Bde. 
Galilei, der sich um die Wissenschaften so unsterblich ver¬ 
dient gemacht hatte, lebte jetzt in einem ruhigen und ruhmvollen 
Alter zu Arcetri im Florentinischen. Er war bereits seines edelsten 
Sinnes beraubt, aber er freute sich dennoch des Frühlings: theils 
um der wiederkehrenden Nachtigal und der duftenden Blüten willen, 
theils um der lebhaften Erinnerung willen, die er an ehemalige 
Freuden hatte. 
Einst, in seinem letzten Frühling, ließ er sich von Viviani, 
seinem jüngsten und dankbarsten Schüler, in das Feld um Arcetri 
führen. Er merkte, daß er sich für seine Kräfte zu weit entfernte, 
und bat daher im Scherz seinen Führer, ihn nicht über das Gebiet 
von Florenz zu bringen. Du weißt,' sagte er, <was ich dem heiligen 
Gerichts habe geloben müssen.' — Viviani setzte ihn zum Ausruhen 
1) der Inquisition, welcher er verfallen war, weil er nach Copernicus gelehrt hatte, die 
Erde drehe sich um die Sonne.
	        
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