Full text: [Theil 3, [Schülerbd.]] (Theil 3)

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moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen 
Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus 
der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, 
welche nicht aus Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt 
ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt. 
Allein Bewunderung und Achtung können zwar zur Nach¬ 
forschung reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen. Was ist 
nun zu thun, um diese auf nutzbare und der Erhabenheit des Gegen¬ 
standes angemessene Art anzustellen? Beispiele mögen hiebei zur 
Warnung, aber auch zur Nachahmung dienen. Die Weltbetrach¬ 
tung fieng von dein herrlichsten Anblicke an, den menschliche Sinne 
nur immer vorlegen und unser Verstand, in ihrem weiten Umfange 
zu verfolgen, nur immer vertragen kann, und endigte — mit der 
Sterndeutung. Die Moral fieng mit der edelsten Eigenschaft in 
der moralischen Natur an, deren Entwickelung und Cultur ans un¬ 
endlichen Nutzen hinaussieht, und endigte — mit der Schwärmerei 
oder dem Aberglauben. So geht es allen noch rohen Versuchen, in 
denen der vornehmste Theil des Geschäftes auf den Gebrauch der 
Vernunft ankommt, der nicht, so wie der Gebrauch der Füße, sich 
von selbst vermittelst der östern Ausübung findet, vornehmlich, wenn 
er Eigenschaften betrifft, die sich nicht so unmittelbar in der gemeinen 
Erfahrung darstellen lassen. 
Nachdem aber, wiewohl spät, die Maxime in Schwung gekom¬ 
men war, alle Schritte vorher wohl zu überlegen, die die Vernunft 
zu thun vorhat, und sie nicht anders, als im Gleise einer vorher 
wohl überdachten Methode, ihren Gang machen zu lassen, so bekam 
die Beurtheilung des Weltgebändes eine ganz andere Richtung 
und mit dieser zugleich einen ohne Vergleichung glücklichern Ausgang. 
Der Fall eines Steins, die Bewegung einer Schleuder, in ihre Ele¬ 
mente und dabei sich äußernden Kräfte aufgelöst und mathematisch 
bearbeitet, brachte zuletzt diejenige klare und für alle Zukunft unver¬ 
änderliche Einsicht in den Weltbau hervor, die bei fortgehender Be¬ 
obachtung hoffen kann, sich immer nur zu erweitern, niemals aber 
zurückgehen zu müssen fürchten darf. — Diesen Weg in Behandlung 
der moralischen Anlagen unserer Natur gleichfalls einzuschlagen, 
die Beispiele der moralisch urtheilenden Vernunft in ihre Elementar¬ 
begriffe zu zergliedern, kann uns jenes Beispiel anräthig sein und 
Hoffnung zu ähnlichem guten Erfolg geben. Dadurch wird auch hie¬ 
bei theils der Verirrung einer noch rohen ungeübten Beurtheilung, 
theils, welches weit nöthiger ist, den Genieschwüngen vorgebeugt, 
durch welche, wie es von Adepten des Steins der Weisen zu ge¬ 
schehen Pflegt, ohne^alle methodische Nachforschung und Kenntnis der 
Natur geträumte schätze versprochen und wahre verschleudert werden. 
Mit einem Worte: Wissenschaft, kritisch gesucht und me¬ 
thodisch eingeleitet, ist die enge Pforte, die zur Weis- 
hcitslehre führt.
	        
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