190
war eine Flaschenscherbe, und weil es so glänzte, so redete die Stopf¬
nadel es an und stellte sich als Busennadel vor.
„Sie sind wohl ein Diamant?“
„Ja, so etwas der Art!“ Und da glaubte eines vom anderen,
es wäre etwas recht Kostbares. Und sie sprachen davon, wie doch
die Welt so hochmütig sei.
„Ich bin bei einer Mamsell in der Schachtel gewesen,“ sagte
die Stopfnadel, „und diese Mamsell war Köchin; an jeder Hand
hatte sie fünf Finger; etwas so Eingebildetes wie diese Finger habe
ich nie gesehen, und sie waren doch nur da, um mich aus der Schachtel
zu nehmen und wieder in die Schachtel zu legen!“
„Waren sie denn vornehm?“ fragte die Flaschenscherbe.
„Vornehm?“ sagte die Stopfnadel; „nein, aber hochmütig! Es
waren fünf Brüder, alles geborene ,Finger*. Sie hielten sich stolz
nebeneinander, obgleich sie von verschiedener Länge waren: der
äußerste, der Däumling, war kurz und dick, der ging außen vor
dem Gliede, hatte auch nur ein Gelenk im Rücken und konnte nur
eine Verbeugung machen; aber er sagte, wenn er vom Menschen
abgehackt würde, so taugte der nicht mehr zum Kriegsdienste.
Leckermaul, der zweite Finger, kam sowohl in Süßes wie in Saures,
zeigte auf Sonne und Mond und gab den Druck, wenn sie schrieben.
Langmann, der dritte, sah die anderen alle über die Achsel an.
Goldrand, der vierte, ging mit einem goldenen Gürtel um den Leib,
und der kleine Peter Spielmann tat gar nichts, und darauf war er
stolz. Prahlerei war’s, und Prahlerei blieb’s, und darum ging ich fort!"
„Und nun sitzen wir hier und glitzern!“ sagte die Flaschenscherbe.
In demselben Augenblicke kam mehr Wasser in den Gossenstein,
es strömte über seine Grenzen und riß die Flaschenscherbe mit sich fort.
„So, nun wurde die befördert!“ sagte die Stopfnadel. „Ich
bleibe sitzen, ich bin zu fein; aber das ist mein Stolz, und der ist
achtbar!“ Und sie saß so stolz da und hatte viele große Gedanken.
„Ich möchte fast glauben, ich wäre von einem Sonnenstrahle
geboren, so fein bin ich! Kommt es mir doch auch vor, als ob die
Sonnenstrahlen mich immer unter dem Wasser suchten. Ach, ich
bin so fein, daß meine Mutter mich nicht finden kann. Hätte ich
mein altes Auge, welches abbrach, ich glaube, ich könnte weinen;
aber ich tät’s nicht; weinen, das ist nicht fein!"
Eines Tages lagen ein paar Straßenjungen da und wühlten
im Rinnsteine, wo sie alte Nägel, Pfennige und solche Sachen