Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] ([Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]])

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Gudrun zum zweiten Male das Leben; dann nahm er den Kampf mit dem 
fürchterlichen Wate wieder auf. Das sah von oben die liebliche Ortrun, 
die eben erst die Kunde vom Tode ihres Vaters vernommen hatte, und mit 
rührender Klage warf sie sich Gudrun zu Füßen. „Gedenke,“ rief sie, „wie 
dir zu Mute war, als man deinen Valer erschluge Nun sieh, mein Vater 
und meine Freunde sind tot; würde mir auch mein Bruder Hartmut er— 
schlagen, so wäre ieh ganz eine Waise. Vergilt nun alle Liebe, die ich dir 
erwies, und rette meinen Bruder vor dem schrecklichen Helden, mit dem er 
jetzt kämpft.“ Gern wollte Gudrun die Bitte ihrer Freundin erfüllen, aber 
der tobende Wate hörte sie nicht. Da gewahrte sie Herwig, winkte ihn heran i0 
und hat ihn, die beiden Kämpfer von einander zu scheiden. Aber Wate 
verweigerte in seiner wilden Aufregung Herwigs Begehren, und da dieser 
dennoch zwischen die Streitenden sprang, versehte er ihm einen Schlag, daß 
er hintaumelte. Darüber entstand ein Getümmel, in welchem Hartmut 
lebendig gefangen genommen ward. 
Nun gewann Wate stürmend die Burg. Horand pflanzte Hildens 
schneeweißes Banner auf der Zinne auf. Im Schlosse aber tobte Wate gleich 
einem Würgengel; selbst die Kinder in der Wiege mordete er, um nicht ein 
Geschlecht von Rächern heranwachsen zu lassen. Ortrun und biele von ihren 
Mägden und Dienern flüchteten sich in Gudruns Schutz; als aber auch ?0 
Gerlinde sich ihr zu Füßen warf und um Gnade flehte, sprang Wate mih 
knirschenden Zähnen ünd blitzenden Augen heran, schleppte die zitternde 
Königin mit den Worten: „Nun soll meine Jungfrau nimmermehr Eure 
Kleider waschen,“ hinaus und schlug ihr das Haupt ab. Dann suchte er 
die ungetreue Hergart; Gudrun flehle, ihr das Leben zu schenken, aber der 
rasende Held rief „Das kann nicht sein, hier bin ich Zuchtmeister,“ und 
er legte der Verräterin das Haupt vor die Füße. Auch die Burg wollte er 
verbrennen, doch Frute wehrte es; dieser ließ die Toten hinaustragen und 
das Blut abwaschen und übergab Horanden die Frauen zur Obhut. 
10. Wie Gudrun heimkehrte. 
Jetzt ging es heim ins Friesenland. Vorausgesandte Boten brachten z0 
Hilden die frohe Kunde. Als diese erfuhr, daß König Ludwig erschlagen 
wäre, jauchzte sie auf in befriedigtem Rachegefühl. Wer sogleich fragte sie 
ängstlich, wie es Gudrun und ihren Mägden ergehe; die Mutterliebe war 
doch mächtiger als der Feindeshaß. Und als sie nun ihre Tochter selbst 
umfing und küßte, da häͤtte alles Gold der Welt ihr die Freude nicht auf- 36 
gewogen. Dankhar neigte sie sich vor dem gewaltigen Wate und küßle ihn, 
ebenso ihren Ortewin. Als aber auch Ortrun ihr vorgeführt ward, wandte 
sie sich strenge von der Tochter ihres Feindes ab, und erft Gudruns Binen 
und Thränen vermöchten endlich ihren Zorn soweit zu mildern, daß sie 
dieselbe umarmte. Aber Hartmut waͤrd in Ketten geworfen, und erst nach 40 
einigen Tagen erreichten die Frauen durch vereinigte Bitten soviel von der 
Königin, daß er frei am Hofe umhergehen durfte. 
Bald folgte nun die fröhliche Vermählung Herwigs und Gudruns. 
Beim festlichen Mahle nahm die glückliche Braut, die gern alles um sich her 
beglücken wollte, ihren Bruder beiseite und stellte ihm vob, wie wohl er 4 
beraten wäre, wenn er die liebliche Ortrun zum Weibe nähme. Gern willigte 
er ein, und auch Ortrun sagte freudig zitternd ja. Zwar sträubte sich noch
	        
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