— 116 Heldensagen. Parzival. Das Knäblein war, wie wir bereits hörten, von seiner Mutter Herze¬ leide in die Einöde des Brezilianwaldes geflüchtet worden und blieb hier fern von aller Berührung mit der Außenwelt. Fürchtete doch die sorgliche Mutter, er möchte, seinem Vater gleich, von Thatenlust gedrängt, einen frühen Tod finden. Kräftig wuchs der Knabe heran. Der grüne Wald, die kühlen Quellen waren sein Spielplatz, die Waldvögelein mit ihren süßen Stimmen seine Freunde. Nie erzählte ihm die Mutter von ritterlichem Wesen, wies ihn aber auf Gott und alles Edle hin. So gedieh Parzival in aller kindlichen Unbefangenheit zum kräftigen Jüng¬ ling, schnitzte sich Pfeil und Bogen, und sein Gabilot fehlte niemals das flüchtigste Wild; unbewußt aber regte sich in ihm zu seiner Mutter Kummer des Vaters kühner Thatendrang. Einst ritten drei Helden in glänzender Rüstung mit breiten Schwertern und goldenen Sporen durch den Brezilianwald und trafen auf den umherstreifenden Parzival, welcher dergleichen nie geschaut und staunend jene durch seine kindischen Fragen halb ergötzte, halb erzürnte. Jetzt erfuhr er, was Ritterschaft sei, und daß sie der König Artus verleihe, und nun war kein Halten mehr, er mußte hinaus aus dem einsamen Wald, hinaus zu Kampf und Sieg. Zum Tode erschrocken, vernahm Herzeleide die stürmischen Bitten ihres geliebten Sohnes, und lange widerstand sie; doch endlich vermochte sie seine Sehnsucht nicht länger zu meistern. Aber abhalten wollte sie ihn wenigstens nach Kräften vom Rittertum; darum stattete sie ihn wie einen Narren, nicht wie einen jungen Helden aus, in der Hoffnung, der Spott der Welt werde ihr den Liebling bald wieder schenken. Auf einer abge¬ triebenen Mähre, eine Narrenkappe auf dem Haupte, in einem Gewände von grober Sackleinewand und rohem Kälberfett, so zog der Unerfahrene aus. Weinend küßte ihn die Mutter und gab ihm noch viele gute Lehren aus den Weg: „Kannst du jemals," so schloß sie, „tugendhafter Frauen Ringlein und Kuß erwerben, so wird es dir Glück und Ehre bringen!" Jetzt eilte Parzival davon, weithin verfolgt von den Blicken der liebenden Mutter. Als er aber im Walde endlich verschwand, da brach ihr Herz, sie sank zu Boden, und ihre Augen schlossen sich für immer. Nichts ahnend und die Brust geschwellt von kühner Thatenlust, ritt unterdes Parzival dahin, jeden Begegnenden freundlich grüßend. Bald kam er aus eine blumige Wiese, wo viele prächtige Zelte aufgeschlagen waren; in dem herrlichsten derselben aber sah er eine schöne Frau in kostbarer Gewandung ruhen, und getreu den Worten seiner lieben Mutter sprang er sofort hinzu, küßte sie herzhaft auf den Mund und