seines Lebens darin, schöne und geistreiche Jünglinge zu belehren und durch die Bande der Freundschaft an sich zu knüpfen. Seine Lehren erteilte er öffentlich, ohne sich dafür bezahlen zu lassen, und ging durch ein tadelloses und tugendhaftes Leben seinen Schülern mit dem würdigsten Beispiele voran in einer Zeit, wo in ganz Griechenland die größte Sittenverderbnis herrschte. Seine Schüler wußte er so für sich zu ge¬ winnen, daß Antisthenes, der im Piräus wohnte, täglich den eine halbe Meile weiten Weg in die Stadt ging, um den Sokrates zu hören. Noch Größeres tat ein anderer seiner Schüler, Luklides aus Megara. Als die Athener im Peloponnesischen Kriege den Megarensem bei Todes¬ strafe den Besuch ihrer Stadt verboten hatten, wagte es Luklides, in Lrauenkleidern von Megara nach Athen zu reisen, einen Weg von vier Meilen, um nur einen Tag die Unterhaltung des Sokrates zu ge¬ nießen. Doch wurden manche seiner Schüler, wie auch Alcibiades, seinen Lehren untreu, ja, sie sind es gerade, die dem athenischen Staate so verderblich wurden. Bis in sein siebzigstes Jahr war Sokrates durch Lehre und Bei¬ spiel bemüht, seine Mitbürger zum Guten zu führen; dabei konnte es aber nicht fehlen, daß ihn viele, denen die Strenge seiner Lehren und die Rücksichtslosigkeit seines Tadels mißfiel, beneideten und haßten. Doch erst nach dem Sturze der dreißig Tyrannen erhoben einige Athener eine öffentliche Anklage gegen ihn, indem sie ihn beschuldigten, daß er die Jugend verderbe und die Verehrung neuer Götter einführe. Es war in Athen Sitte, daß sich die Angeklagten vor Gericht durch kunstvolle Reden verteidigten und durch Bitten und Tränen das Mitleid der Richter zu erregen suchten. Sokrates verschmähte diese niedrigen Mittel; in seiner einfachen Verteidigungsrede begnügte er sich, den Richtern ein Bild seines vergangenen Lebens darzustellen. Diese Verteidigung fand bei seinen Richtern kein Gehör, und sie ver¬ urteilten ihn zum Tode. Nach athenischer Sitte mußte jeder Verur¬ teilte selbst angeben, welche Strafe er verdient zu haben glaubte. Auch Sokrates sollte sich jetzt selbst eine Strafe bestimmen, und er erklärte, er glaube verdient zu haben, daß er von dem Staate auf öffentliche Kosten ernährt werde, eine Ehre, welche den Siegern in den olympischen Spielen erwiesen wurde. Durch diese Antwort er¬ bitterte er seine Richter noch mehr, und viele, welche zuerst gegen die Todesstrafe gestimmt hatten, sprachen sich jetzt für seine Hin¬ richtung aus. Er ward verurteilt, den Giftbecher zu trinken, und ins Gefängnis geführt. Am Tage vor seiner Verurteilung aber ging gerade das heilige Schiff nach Delos ab, um dem Apollo ein Opfer zu bringen, und nach athenischem Gebrauche durfte vor der Rückkehr dieses Schifies kein Todesurteil vollzogen werden. So lebte denn Sokrates noch dreißig 10*