419 Schule des Lebens den deutsch-vaterländischen Sinn, den einst Klopstocks Oden in der Seele des Jünglings geweckt hatten. Wie fest er auch an seinen preußischen Fahnen hing, er fühlte sich doch immer, gleich Stein, schlechtweg als einen deutschen Edelmann. Grenzenlos war sein Zu¬ trauen zu der unverwüstlichen Kraft und Treue seines Volkes. Das Herz ging ihm auf, wo er die ursprüngliche Frische und Freiheit ger¬ manischen Wesens fand; daher seine Vorliebe für das freie Volk der Friesen und das selbstbewußte Bürgertum der Hansestädte, sein Abscheu wider den Kastenstolz und die vaterlandslose Gesinnung des münster¬ ländischen Adels. Im Alter beklagte er oft, daß er über dein Saus und Braus des lustigen Husarenlebens seine Bildung so ganz vernach¬ lässigt habe. Ein angeborener Freisinn, der sichere Instinkt eines großmütigen königlichen Herzens ließ ihn gleichwohl fortschreiten mit der wachsenden Zeit. Lange vor den Reformen von 1807 hatte er die Prügelstrafe bei seinen Roten thatsächlich abgeschafft; der kleinliche Zwang unnützer Paradekünste war ihm ein Greuel, und frühe schon sprach er es aus, daß die Armee zu einem Volksheere werden müsse. Von dem junkerhaften Wesen seiner mecklenburgischen Standesgenossen blieb er ganz frei. Wie er selber seine Erfolge allein der eigenen Tüchtigkeit verdankte, so hieß er freudig alles willkommen, was die persönliche Kraft, die freie Thätigkeit, das Selbstvertrauen in der Nation erweckte. Steins Reformen und namentlich die Städteordnuug fanden an ihm einen beredten Verteidiger. So wurzelte auch sein grimmiger Haß gegen die Fremdherrschaft in dem starken Selbstgefühle einer freien Seele: er empfand es wie eine persönliche Entwürdigung, daß er auf deutschem Boden sich nach dem Belieben französischer Gewalt¬ haber richten sollte, und wetterte: „Ich bin frei geboren und muß auch so sterben." Der alte Kriegsmann zählt zu jenen echten historischen Größen, die bei jeder näheren Kenntnis gewinnen. Welche Schärfe des poli¬ tischen Blicks in dem barbarischen Deutsch seiner vertrauten Briefe! In jeder politischen Lage findet er sich rasch zurecht, erkennt sofort den springenden Punkt im Gewirr der Ereignisse, weissagt mit prophetischer Sicherheit den letzten Ausgang. Niemals läßt er sich täuschen durch die Überklugheit der Haugwitzschen Politik, niemals glaubt er an die Möglichkeit einer ehrlichen Verständigung zwischen Preußen und Napo¬ leon. Im Frühjahr 1807, nach einem einzigen Gespräche mit Bennigsen, weiß er augenblicklich, was sein Staat von den Russen zu erwarten hat, und ruft ingrimmig: „Wir sind verraten und verkost!" Und dann die langen Jahre der Knechtschaft; oft genug ist er der Verzweiflung 27*