294 A. Epische Poesie. J. Sagenhafte Stoffe. 7. O fragt nicht nach der Sage Ziel! Euch künden rings die Gauen: Der Berg ist wüst, das Schloß zerfiel, Das Schwert ist längst zerhauen. 8. Dort liegt das Thal voll Herr— lichkeit Im lichten Sonnenschimmer, Da wächst und reift es weit und breit; Man ehrt den Pflug noch immer. 112. Rönige und Hirten. Von Gustav Schwab. Gedichte. Stuttgart und Tübingen, 1849. 1. Wie lieblich grünend stehn die Auen, Durch die der Pfad nach Bethlem führt! Wie vollbelaubte Hügel schauen Ins Thal, das keinen Winter spürt! Es weiß nichts von des Hagels Schlägen Und bleibt im Sommer unversengt, Es wird zur Zeit der kalten Regen Mit warmem Frühlingsgruß be— sprengt. 2. Durch solches geht die Winter— reise Der Könige mit Lenzesmut; Die Sonne sinkt, da gießt sich lelse Durchs grüne Feld Smaragden— glut. Die Berge sind von Golde trunken, Der Bäche Silber leuchtet fern; Wohl ist die Sonne längst ver— sunken, Doch über ihnen geht der Stern. 3. Heut' wandelt er mit ihren Tritten, Er geht so fest, so rasch voran; Ja, seine Strahlen gleichen Schritten Und lassen Spuren ihrer Bahn. Wie wenn ein lichter Regenbogen Durchs Thal, nicht durch die Wolken geht, So haben sie den Pfad gezogen Und eine Furche Golds gesät. 4. Dort liegt an eines Hügels Saume Gelagert eine Hirtenschar, Erweckt aus ihrem ersten Traume Hat sie der Stern so wunderklar. Er deckt mit weißen, weichen Lichtern Der Schafe schlummernd Häuflein ganz, Und auf den frommen Angesichtern Der Hirten spiegelt sich sein Glanz. 5. Da kommt der Fürsten Heer gezogen, Die Hirten richten sich empor, Auf flücht'gem Roß herbeigeflogen, Sprengt an der Tharsisfürst, der Mohr: „Erzittert nicht, ihr Hirtenleute! Wir sind kein feindlich Kriegesheer, Wir fallen nicht auf euch nach Beute, Wir werfen nicht nach euch den Speer.“ 6. Ihm tritt ein ernster Greis entgegen, Neigt sich und spricht: „Gewalt'ge Herr'n! Es ist ein Wunder allerwegen, Hier solches Heer und dort der Stern! Doch schreckt uns nicht, was wir gewahren,