300 232. Das Leben im Sommer. 232. Das Leben im Sommer. [II.] Von Jean Paul Friedr. Richter. Werke. Berlin 1862. Bd. XX 8. 139. Welche schöne Jahreszeit! Wahrlich, ich weiß oft nicht, bleib’ ich in der Stadt, oder geh’ ich auf’s Feld, so sehr ist’s einerlei und hübsch. Geht man zum Thore hinaus, so erfreuen einen die Bettler, die jetzt nicht frieren, und die Postreiter, die mit vieler Lust die ganze Nacht zu Pferde sitzen können, und die Schäfer schlafen im Freien. Man braucht kein dumpfes Haus; jede Staude macht man zur Stube und hat dabei gar meine guten, emsigen Bienen vor sich und die prächtigen Zweifalter. In Gärten, auf Bergen sitzen Gymnasiasten und ziehen im Freien Vokabeln *) aus Lexicis. 2) Wegen des Jagdverbotes wird nichts geschossen, .und alles Leben in Büschen und Furchen und auf Ästen kann sich so recht sicher ergötzen. Überall kommen Reisende auf allen Wegen daher, haben die Wagen meist zurückgeschlagen; den Pferden stecken Zweige im Sattel und den Fuhrleuten Rosen im Munde. Die Schatten der Wolken laufen; die Vögel fliegen dazwischen auf und ab; Hand¬ werksburschen wandern leicht mit ihren Bündeln und brauchen keine Arbeit. Sogar im Regenwetter steht man gerne draußen und riecht die Erquickung — und es schadet den Viehhirten weiter nichts — die Nässe. Und ist’s Nacht, so sitzt man nur im kühleren Schatten, von wo aus man den Tag deutlich sieht am nördlichen Horizonte und an den süssen, warmen Himmelssternen. Wohin ich nur blicke, so find’ ich mein liebes Blau; am Flachs in der Blüte, in den Kornblumen und am göttlichen unendlichen Himmel, in den ich gleich hineinspringen möchte wie in eine Flut. Kommt man nun wieder nachhause, so findet sich in der That frische Wonne. Die Gasse ist eine wahre Kinderstube; sogar abends nach dem Essen werden die Kleinen, ob sie gleich sehr wenig anhaben, wieder ins Freie gelassen und nicht wie im Winter unter die Bettdecke gejagt. Man ißt am Tage und weiß kaum, wo der Leuchter steht. Im Schlafzimmer sind die Fenster Tag und Nacht offen, auch die meisten Thüren, ohne Schaden. Die ältesten Weiher stehen ohne Frost am offenen Fenster und nähen. Überall liegen Blumen, neben dem Tintenfaß, auf den Akten, auf den Sessions-8) und Ladentischen. Die Kinder lärmen sehr und man hört das Rollen der Kegelbahnen. 1) — einzelne Wörter. 2) — Wörterbücher; Sing. Lexikon. 3) Session — Sitzung, Sessionstisch — ein Tisch im Gerichtszimmer.