76 Da kannst du im Walde einem sonderbaren Mann begegnen. Seinem zerfahrenen Gewände nach könnte es ein Bettelmann sein, er trägt auch einen großen Sack auf dem Rücken; aber über diesem Bündel und an all seinen Gliedern, von der bestickten Beschuhung bis zum ver witterten Hut, laufen in aller Hast zahllose Ameisen auf und nieder, hin und her, in Schreck und Angst und wissen sich keinen Rat in der fremden, wandelnden Gegend, in die sie geraten. Der Mann ist ein Ameisler. Er geht aus, um die Puppen der Ameisen, die Ameiseneier, zu sammeln, die er in Markt und Stadt als Futter für gefangene Vögel verkauft. Er sammelt auch die Harz¬ körner aus den Ameisenhaufen, um sie als den in der Bauernschaft beliebten Waldrauch, der in den Häusern besonders bei Krankheiten als Räucherungsmittel dient oder gar als Weihrauch zu kirchlichen Zwecken, zu verwerten. Da geht der Ameisler in den Nadelwald auf die Suche. Vor dem Wildschützen erschrickt er nicht, aber dem Förster weicht er aus. Endlich findet er einen Ameisenhaufen, der ist zumeist an einen halbvermoderten Baumstock hingebaut und in Form eines bisweilen meterhohen Kegels aufgeschichtet aus dürren Zweiglein und Splitterchen, aus den abge¬ fallenen, braunen Nadeln der Bäume. Er ist über und über lebendig, und die unzähligen schwarzen oder braunen Tierlein rieseln beständig durcheinander hin und wieder, zu den tausend kleinen Stollen und Schachten aus und ein, jedes eine Last auf sich oder eine solche suchend, andere wieder Ordnung hallend, daß überall die gemächliche Emsigkeit herrsche und nirgends gestört werde. Die einen tragen ihre Puppen ins Freie, daß sie von der Sonne erwärmt werden; die andern fangen Blattläuse ein oder Goldkäfer, die sie als ihre Melkkühe oder Schlacht¬ vieh zu verwerten wissen. Die Puppen jedoch nähren sie mit eigenem Safte. Der Verrichtungen sind tausenderlei. Manche Haufen haben auch ihre eigenen Wegmacher, die auf den begangensten Straßen die dürren Baumnadeln und Holzstückchen klein beißen. Trotzdem sind die Wege und Stege just nicht die glattesten und bequemsten; eines der Tiere steigt über das andere und wird dann selber wieder niedergetreten; aber das macht nichts. Vom Haufen hinweg über Baumwurzeln oder unter Heidekraut laufen sie zu tausenden und kehren mit Baumaterialien, mit Harzkörnern, mit erbeuteten Käfern und Würmlein mühevoll, aber guten Mutes zurück. Die innere Ordnung und den mustergültigen Haushalt der Ameisen können wir zufällig Vorübergehenden kaum ahnen.