Prosa. Erste Abteilung. Erzählungen, Beschreibungen und Schilderungen. 1. Das Hirtenbüblein. Br. Grimm. Kinde:- und Hausmärchen 152. Es war einmal ein Hirtenbüblein, das war wegen seiner weisen Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit berühmt. Der König des Landes hörte auch davon, glaubte es nicht und lieh das Bübchen kommen. Da sprach er zu ihm: „Kannst du mir auf drei Fragen, die ich dir vorlegen will, Antwort geben, so will ich dich ansehen wie mein eigen Kind, und du sollst bei mir in meinem königlichen Schlosse wohnen." Sprach das Büblein: „Wie lauten die drei Fragen?" Der König sagte: „Die erste lautet: wieviel Tropfen Wasser sind in dem Weltmeer?" Das Hirtenbüblein antwortete: „Herr König, laßt alle Flüsse auf der Erde verstopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus ins Meer läuft, das ich nicht erst gezählt habe, so will ich Euch sagen, wieviel Tropfen im Meere sind." Sprach der König: „Die andere Frage lautet: wieviel Sterne stehen am Himmel?" Das Hirtenbüblein sagte: „Gebt mir einen grotzen Bogen Papier," und dann machte es mit der Feder so viele Punkte darauf, das; sie kaum zu sehen und gar nicht zu zählen waren und einem die Augen ver¬ gingen, wenn man darauf blickte. Darauf sprach es: „Soviel Sterne stehen am Himmel, als hier Punkte auf dem Papier; zählt sie nur!" Aber niemand war dazu imstande. Sprach der König: „Die dritte Frage lautet: wieviel Sekunden hat die Ewigkeit?" Da sagte das Hirtenbüblein: „In Hinterpommern liegt der Demantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahre ein Vögelein und wetzt sein Schnäbelein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde der Ewigkeit vorbei." Linniq, Lesebuch I. ib. Aufl. 1