12 Märchen. und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammertür ein weißes Weiblein herein, nicht mehr als einer Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze Stube war voll von Rosenduft. Das Licht löschte aus; aber ein Schimmer wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem Weiblein aus und überzog alle Wände. Über so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit wundersüßer, silberreiner Stimme sprach: „Ich bin eure Freundin, die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloß mitten in den Bergen wohnt, mit un¬ sichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden." Hans drückte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: „Das lautet nicht übel." Die Frau aber war schon im Begriff den Mund zu öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Hauben, seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprach' zu bringen, als die Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: „Acht Tage lang," sagte sie, „habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und übereilt euch nicht!" Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie vorher und statt des Rosenduftes zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube. So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Baßgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wußten, was sie wünschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten recht daran zu denken oder davon zu sprechen aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren [gelten], ehe sie es genug überlegt hätten. Nun sagte die Frau: „Wir haben ja noch Zeit bis am Freitag." Des andern Abends, während die Kartoffeln zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der rußigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald auslöschten, und waren ohne ein Wort zu reden vertieft in ihrem künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Kartoffeln aus der Pfanne auf das Plättlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg: — „Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu hätten!" sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu denken, und — o weh! da war der erste Wunsch getan. Schnell, wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und Rosenduft untereinander durch das Kamin herab und auf den Kartoffeln lag die schönste Bratwurst. Wie gewünscht, so geschehen. Wer sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht ärgern, welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden? „Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase angewachsen wäre!" sprach er in der ersten Überraschung, auch in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu