Die Raubvögel als Feldpolizei. Morgenkonzert in den Alpen. 201 den Tag und die Sonne zu sehen und die gute Mutter Natur zu loben, die ihnen wieder das freudige Licht gesandt hat. Wie manches kleine, arme Vöglein lebt fröhlich auf und hat eine bange und angstvolle Nacht hinter sich! Es saß auf seinem Zweige, den Kops ins kuglige Gefieder gedrückt, als im Sternenschein ein Wald- kauz mit leisem Fluge durch die Bäume flog und sich eine Beute wählte. Der Steinmarder kam vom Tale her, das Äermelin aus den Felsen, der Edelmarder herunter aus seinem Eichhornnest; durch die Büsche war der Fuchs gegangen — alle hat es gesehen. Zn der Luft, auf dem Baum, aus dem Boden hatte das Verderben gelauscht viele traurige Stunden lang. Angstvoll hatte es gesessen und sich nicht zu regen ge¬ wagt, und ein paar junge Buchenblätter hatten es geschützt und versteckt. Wie hüpft es jetzt hervor und lobt die Sicherheit des Lebens und den Schutz des Lichtes! In klaren, kräftigen Schlägen ruft der Buchfink, in Hellen Strophen das Rotkehlchen von dem Wipfel des Lärchenbaumes, der Weidenzeisig im Erlenbusch, Ammer und Blutfink im Anterholz des Vorwaldes. And dazwischen trillert der Äänfling, kollert die Tann- und Blaumeise, jubelt der Distelfink, quiekt der Zaunkönig, piepst das Goldhähnchen, ruckst die Wildtaube, trommeln die Spechte. Aber alle übertönt des Mistlers kräftige Stimme, die melodischere Weise der Baumlerche und das un- nachahmbare Lied der Singdrossel. Welch ein Morgenkonzert in den grünen Hallen! Ist es nicht tief empfunden, was ein altes Volkslied sagt: Wer ist euer Koch und euer Keller, daß ihr so wohlgemut! Ihr trinkt kein'n Muskateller und habt so freudigs Blut. Wohin geht dieses Dichten, du edles Federspiel, als daß wir uns auch richten nach unserm End' und' Ziel. In eine Weise und mit einem Ausdruck ist es nicht zusammen¬ zufassen, dieses unendliche Waldkonzert. Es wechselt nicht nur jeden Augenblick, sondern fast alle Schritte weit ist es ein anderes. Bald überwiegt das Gezirpe der Kohlmeisen, das Geplapper der Stare; bald tönt der Finkenschlag vor, bald der Drosselgesang; bald hört man nur das Gehämmer der Spechte und ihren rollenden Lockruf oder das Ge- rätsch der Häher. Dann schweigt plötzlich alles; nur hoch in den Lüsten schreit der Taubenhabicht sein heiseres, hungriges „Gia, Gia", und im Augenblicke sitzen die Sänger im tiefen Laube und ducken sich nieder ins Gezweig.