240 IX. Bilder aus Länder- und Völkerkunde. Dienstag, 31. Dezember. Auch dieses Jahr geht zu Ende. Es ist merkwürdig gewesen, aber trotz allem ziemlich gut. Zu Sause läuteten sie das alte Jahr zu Ende. Anse re Kirchen¬ glocke ist der eisige Wind, der über Gletscher und Schneefeld pfeift und wütend heult, wenn er den Schnee in Wolken hoch emporjagt und vom Grate des Berges dort drüben aus uns herunterfegt. Weit den Fjord hinauf sieht man die Schneewolken, von den Windstößen getrieben, über das Eis jagen, und der Schneestaub glitzert im Mondlicht. And der Vollmond zieht ruhig und schweigsam von dem einen Jahr ins andere hinüber. Er scheint auf Gute und Böse cherab und achtet nicht des Jahreswechsels, der Entbehrungen, der Sehnsucht. Einsam, verlassen, Sunderte von Meilen fern von allem, was uns teuer ist; aber die Ge¬ danken fliegen rastlos auf ihren stillen Bahnen. Wieder wendet sich ein Blatt im Buche der Ewigkeit, eine neue, weiße jSeite ist auf¬ geschlagen, und niemand weiß, was darauf geschrieben werden wird. Mittwoch, 8. Januar. Gestern abend wehte der Wind den Schlitten, an welchem unser Thermometer hing, über den Abhang. Stürmisches Wetter draußen — wütender Wind, der einem fast den Atem benimmt, wenn man den Kopf hinaussteckt. Wir liegen hier und suchen zu schlafen, die Zeit zu verschlafen. Immer können wir es aber nicht. O, diese langen, schlaflosen Nächte, wenn man sich von einer Seite auf die andere dreht, die Füße hinaufzieht, um sie ein wenig zu wärmen, und sich auf der ganzen Welt nur eins wünscht — Schlaf! Die Gedanken beschäftigen sich unermüdlich mit allem in der Seimat; aber der lange, schwere Körper sucht hier zwischen den rauhen Steinen vergebens eine erträgliche Lage zu finden. Die Zeit kriecht weiter. Seute ist Klein- Livs Geburtstag gekommen. Seute ist sie drei Jahre alt und muß nun ein großes Mädchen sein. Armes kleines Ding! Du vermißt deinen Vater jetzt nicht; an deinem nächsten Geburtstag werde ich hoffentlich bei dir sein. Was für gute Freunde wir sein werden! Du wirst Sucke- pack reiten, und ich werde dir Geschichten aus dem Norden erzählen von Bären, Füchsen, Walrossen und den anderen merkwürdigen Tieren im Eise. — Nein, ich ertrage es nicht, daran zu denken! Sonnabend, 1. Februar. Es ist ein merkwürdiges Dasein, den ganzen Winter hindurch in einer unterirdischen Sütte zu liegen und nichts zu haben, an das man die Sand legen könnnte. Wie sehnten wir uns nach einem Buche! Wie angenehm schien uns das Leben an Bord der „Fram", als wir die ganze Bibliothek hatten! Alles, worüber wir wirklich zu sprechen hatten, war schon vor langer Zeit gründlich durchgedroschen, und es gab tatsächlich nicht viel Gedanken von gemein-