fromm und verbergen keinen Frevel! Unsere große Mutter, das ist die Erde, ihre Knochen sind die Steine; und diese, Pyrrha, sollen wir hinter uns werfen!" Beide mißtrauten indessen dieser Deutung noch lange. Jedoch, was schadet die Probe? dachten sie. So gingen sie denn seitwärts, verhüllten ihr Haupt, entgürteten ihre Kleider und warfen, wie ihnen befohlen war, die Steine hinter sich. Da ereignete sich ein großes Wunder: das Gestein begann seine Härtigkeit und Spröde abzulegen, wurde geschmeidig, wuchs, gewann eine Gestalt; menschliche Formen traten an ihm hervor, doch noch nicht deutlich, sondern rohen Gebilden oder einer in Marmor vom Künstler erst aus dem Groben heraus¬ gemeißelten Figur ähnlich. Was jedoch an den Steinen Feuchtes oder Erdiges war, das wurde zu Fleisch an dem Körper; das Unbiegsame, Feste ward in Knochen verwandelt; das Geäder in den Steinen blieb Geäder. So gewannen mit Hilfe der Götter in kurzer Frist die vom Manne geworfenen Steine männliche Bildung, die vom Weibe ge¬ worfenen weibliche. Diesen seinen Ursprung verleugnet das menschliche Geschlecht nicht, es ist ein hartes Geschlecht und tauglich zur Arbeit. Jeder Augenblick erinnert uns daran, aus welchem Stamm es erwachsen ist. 56. Midas. Gustav Schwab. Einst schweifte der mächtige Weingott Dionysos mit seinen Bakchantinnen und Satyrn hinüber nach Kleinasien. Dort lustwan¬ delte er an den rebenumrankten Höhen des Tmolosgebirges, von seinem Gefolge begleitet. Nur Silenos, der greise Zecher, ward vermißt. Dieser war vom Weinrausch überwältigt, eingeschlafen und zu Sardes zurückgeblieben. Den schlummernden Alten fanden phry- gische Bauern; da fesselten sie ihn mit Blumenkränzen und führten ihn zu dem Könige Midas*. Ehrfürchtig begrüßte dieser den Freund des heiligen Gottes, nahm ihn wohl auf und bewirtete ihn mit fröhlichen Gelagen zehn Tage und Nächte lang. Am elften Morgen aber brachte der König seinen Gast auf die lydischen Gefilde, wo er ihn dem Bakchos übergab. Erfreut, seinen alten Genossen wieder zu haben, forderte der Gott den König auf, sich eine Gabe von ihm