Wolfgang Müller. 245 163. Meister Tancho. (Um 804 n. Chr.) Von Wolfgang Müller. Gedichte. Frankfurt a. M., 1847. 1. Zu Aachen durch die Gassen, Da tönte lust'ger Braus; Von Mann und Weib verlassen, Stand öde jedes Haus. Mit seinem Hofgelage Kam selber Karl zur Schau; Es war an diesem Tage Vollbracht des Domes Bau. 2. „Gott wird mit Wohlgefallen," Begann der Kaiser laut, „Bewohnen diese Hallen, Die wir ihm aufgebaut. Für unsrer fleiß'gen Hände Vieljähriges Bemühn Wird reichen Segens Spende Im Gotteshaus uns blühn. 3. Doch fehlt der Mund, der helle, Der uns zu kommen heißt,- Wenn sich der Gnade Quelle Im Heiligtum erweist. Mit ihrem freudigen Schallen Fehlt noch die Glocke hier; Drum bringet von Sankt Gallen Tancho, den Gießer, mir!" 4. Der Meister ward gerufen, Und Karl gab ihm zur Stund' Gediegner Silberstufen Dreitausend schwere Pfund; Und Kupfererz und Eisen Gab er in Fülle aus Und ließ zur Arbeit weisen Ihm ein gelegen Haus 5. Ans Werk gab unverdrossen Der Künstler sich alsdann, Doch seine Thür verschlossen Hielt er vor jedermann; Nicht daß die Störung ferne, Ihm lag Betrug im Sinn, Das Silber hätt' er gerne Vertauscht mit schlechtem Zinn. 6. Und als dahin drei Wochen. Da war das Werk vollbracht; Die Form ward abgebrochen, Ha, wie die Glocke lacht! Seht nur die hellen Bilder, Die Sprüche Zeit' an Zeil', Im Sonnenglanz die Schilder! Dem hohen Meister Heil! 7. Mit freud'gen Angesichtern Steht rings das Volk im Kranz, Doch in des Erzes Lichtern Merkt keiner falschen Glanz. Man zieht zur Glockenstufe Die Glock' und fugt sie ein, Und frohe Jubelrufe Erschallen mächtig drein. 8. Und Karl tritt aus der Menge Zuerst zu läuten, vor, Er rührt die Glockenstränge, Kein Laut dringt an sein Ohr: „Nicht liegt's an meiner Stärke, Die regte Größres schier; Es lieget an dem Werke. Den Meister rufet mir!" 9. Und Tancho tritt inmitten, Im Auge grimme Glut; Er geht mit schwanken Schritten, Er reißt am Seil mit Wut. Ein Prasseln und ein Toben Dröhnt durch die Balken dann; Der Klöpfel fällt von oben Und trifft den falschen Mann.' 10. Wie sie ihn stürzen sehen Und sehn des Blutes Lauf, Da staunt das Volk, da gehen Ihm erst die Augen auf. Und weitum alles schweiget, Der alte Kaiser spricht: „Wo Gottes Hand sich zeiget, Da reden Menschen nicht".