1 — 89 — Der Schmied Mimer hatte einen Bruder, Regin, der wegen böser Zauberei in einen Lindwurm verwandelt worden war. Dieser tötete Menschen und Tiere, die in seine Gewalt kamen, und fraß sie. Zu diesem Bruder sprach Mimer eines Tages: „Ich will dir den schönsten und stärksten Jüngling, den es weit und breit giebt, zum Fraße senden." Darauf ging er nach Hause und hieß Siegfried in den Wald gehen und Kohlen brennen. Der Jüngling begab sich auf den Platz, den ihm Mimer bezeichnet hatte, fällte Bäume und machte ein großes Feuer an. Darauf fing er einen Eber, zog ihm das borstige Fell ab und schickte sich an, ihn am Feuer zu braten. Da schoß plötzlich der greuliche Lindwurm aus dem Dunkel des Waldes hervor. Sein Rachen war so groß, daß er Mann und Roß verschlingen konnte. Aus den Augen sprühten ihm Funken, aus der Nase fuhr feuriger Dampf. Siegfried aber erschrak nicht; was Furcht war, wußte er nicht. Er ergriff, da er kein Schwert hatte, einen jungen Baumstamm, dessen obere Hälfte lichterloh brannte, und stieß die Spitze dem Lindwurm in den Rachen. Darauf schlug er ihn so auf den Schuppenkopf, daß der Schädel zersprang und Blut und Mark bis in die Zweige der Bäume spritzten. Der Wurm wälzte sich am Boden und schlug mit dem Schweife um sich, daß die stärksten Bäume wankten. Der Held stand von fern, bis das Ungetüm tot war und still lag. Nunmehr nahm er seine Axt und hieb ihm den Kopf ab. Danach schnitt er das Herz aus, that es in einen Kessel und kochte es. Er tauchte den Finger hinein und kostete. Alsbald verstand er die Sprache der Vögel. Sie sangen: Du warst dem Wurm zum Fraße versprochen. Mimer ist dein Feind; hüte dich! Darauf suchte er das Nest des Lindwurms und fand es in einem tiefen Felsengeklüfte. Dort lag ein alter Wurm mit Jungen. Er warf einen Baum hinein, so daß die Untiere nicht hervorkommen konnten. Hierauf fällte er noch mehrere Bäume und warf sie ins Geklüft. Dann nahm er Feuer und zündete das Holz an. Als die Würmer verbrannt waren, floß ein weißer, klarer Bach aus dem Felsen hervor, es war das Fett der Ungetüme. Siegfried legte die Kleidung ab und bestrich sich den ganzen Körper mit dem Drachenfette. Bloß auf dem Rücken blieb eine Stelle leer, denn dahin war ein Lindenblatt gefallen, das wußte der Jüngling aber nicht. Als die Haut getrocknet war, konnte man ihr nichts ansehen, aber sie war undurchdringlich wie Horn geworden. Siegfried legte hiernach die Kleider wieder an und machte sich auf oen Heimweg. Den Kopf des Wurmes trug er auf der Schulter. Als Mimers Gesellen ihn, den sie schon für tot gehalten hatten, wiederkommen sahen, erschraken sie und stohen. Mimer war in der Schmiede und ahnte