82 A. Erzãählende Prosa. IV. Sagen. und Trank versorgen. Ihr aber, ihr Fürsten, erfüllt mir eine andere Bitte! Folgt mir in meinen geräumigen Saal, damit wir den Fremdling noch einmal würdig bewirthen, und daß unserer Freude auch das Lied nicht fehle, so rufet den göttlichen Sänger Demodokus herbei!“ Als nun das Mahl bereitet war, erschien der abgeschickte Diener mit dem alten Sänger, die Fürsten im Saale zu belustigen. Demodokus war ein blinder Mann, aber sein Gedächtniß war voll von herrlichen Geschichten, die sein beredter Mund entzückend vorzutragen wußte, indes seine Hand kräftig die Saiten der Phorminx rührte. Der Herold führte ihn sanft am Arme herbei, stellte ihm mitten im Kreise einen Sessel hin an eine Säule des Saales, und über seinem Haupte hängte er die Phorminx an einem Nagel auf, lenkte auch freundlich dem blinden Manne die Hand dahin, daß er nachher sie finden könnte. Dann setzte er einen Tisch mit Fleisch vor ihn hin, holte den Brotkorb herbei, mischte Wein für ihn und bediente so auch alle übrigen Gäste. Als nun die Eßlust der Schmausenden gestillt war, griff der Sänger nach seiner Phorminx, das Spiel zu beginnen. Und num erscholl sein Lied wie ferner Schlachtruf und Schwerterklirren und donnernder Hufschlag zur Feier des Trojanerkrieges. Alles lauschte begeistert den Klängen, die lief in jedem Griechenherzen widerhallten. Da wandte sich sein Gesang, und nun pries er den Streit zweier Helden, deren Ruhm vor Allen groß war, des Achilles und — Ulysses. Däs traf unseren Helden wie Schwertstreich. Die Erinnerung riß alle Wunden seines Herzens wieder auf, er zog den Mantel über das Haupt und ver— barg sein Gesicht, daß die Phäaken seine Thränen nicht sähen. Erst als der Sänger schwieg, trocknete er sich schnell die Thränen und nahm den Mantel von seinem Haupte. Aber sobald der Sänger wieder anhub, stürzten auch die Thränen wieder hervor. Ulysses schluchzte. Das hörte Alcinous, der ihm zunächst saß; aber schonend, als merke er's nicht, sprach er bei der nächsten Pause des Gesanges zu seinen Gästen: „Hört, Freunde, ich denke, jetzt hat Mahl und Gesang uns Alle sattsam erfreuet. Laßt uns nun hinausgehen und Kampfspiele versuchen, damit unser Gast auch darin die Geschicklichkeit der Phäaken sehe und bewundere und seinen Freunden zu Hause davon erzähle!“ Sogleich standen die Schmausenden alle auf und folgten dem Könige hinaus. Auch der blinde Sänger ging mit, nachdem ein treuer Diener ihm seine Phorminx abgenommen und an den Nagel gehängt, ihn selbst aber bei der Hand gefaßt hatte. Der Markt füllte sich wieder mit neuem Getümmel. Die Fürsten setzten sich, rings umher stand das Volk, und die Jünglinge, welche ihre Kunst im Ringen, im Faustkampf, im Laufen und Werfen zeigen wollten, traten in den weiten Kreis hervor. Zuerst versuchten sich drei Söhne des Königs, Laodamas, Halius uͤnd Klytonäus, im Wettlauf, und der Letztere trug den Preis davon. Dann ttraten die starken Ringer auf, unter denen der tapfere Euryalus alle besiegte. Hierauf ließen sich die Springer sehen, auf welche die Scheibenwerfer folgten. Den Beschluß machten die Faustkämpfer, und in diesem gefährlichen Spiele be⸗ hielt der schöne Laodamas die Oberhand. „Hört, Freunde,“ rief hierauf der muthige junge Mann, „wir wollen doch unsern Gast fragen, ob er nicht auch in Kämpfen geübt ist. Wahrlich, seine Gestalt ist edel; seht