Reichenbach: Eine Sklavenjagd im Frankfurter Wald. 257 Minderzahl und bilden die oberen Tausend; Forel veranstaltete eine Volkszählung mit statistischen Erhebungen in einem Amazonenstaat, und diese ergab über tausend Amazonen und annähernd 40000 Sklaven; diese Sklaven gehörten teils der schwarzbraunen, teils der rotbärtigen Waldameisenrasse an. 4. Wie kommt nun die Amazone dazu, in solche Abhängigkeit von ihren Sklaven zu geraten? Vor allem ist da der Bau ihrer Mundteile zu berücksichtigen. Ihre Kiefer sind zu Greifzangen umgestaltet, die zwar zum Puppen¬ stehlen, aber nicht zu Bauarbeiten und anderen Ameisenverrichtungen geeignet sind. Die übrigen Freßwerkzeuge sind im Vergleich zu anderen entschieden rückgebildet, allerdings nicht so, daß man der Amazone schlechterdings die Möglichkeit der Selbsterhaltung absprechen müßte. Hat doch auch Wasmann, ein vorzüglicher Beobachter, in einigen Fällen gesehen, daß Amazonen geraubte Puppen anschnitten und deren Blut leckten, also heimliche Kannibalen sind. Aber viele Versuche haben bewiesen, daß die Amazonen bei reichlichem Ameisen¬ futter der leckersten Art lieber Hungers sterben, ehe sie selbst fressen. Sie können eben nur Nahrung aufnehmen aus dem Magen und dem Munde ihrer Sklaven, die möglicherweise bereits eine Art Vorverdauung bewirken. Da sich die Amazonen um ihren Nachwuchs gar nicht kümmern, so verhungern ihre Kinder auch, wenn nicht die dunkel¬ braunen Sklaven, die besonders aufmerksame und eifrige Kindermädchen sind, fortwährend von einem zum andern rennen und Honig aus ihrem Magen den Würmern auf den Mund würgen. Die Handlungsweise der Amazonen erscheint also mit einem Male in ganz anderm Lichte; sie folgen nur ihrem angeborenen Instinkte, wenn sie sich Hilfsameisen holen, da sie und ihre Nachkommenschaft ohne Sklaven rettungslos verloren wären. „Und die armen Sklaven?" Nun, so schlimm ist die Sache nicht; zu Hause hätten sie es auch um kein Haar besser als hier; sie müßten dort auch arbeiten, und bei volkreichen Staaten vielleicht noch angestrengter. Aber was eine richtige Ameise ist, die arbeitet unverdrossen Tag und Nacht, bei gutem und schlechtem Wetter mit großem Eifer und — was die Hauptsache ist — mit Vergnügen. Unsere Beobachtungen waren nach einer Stunde beendigt. Auf dem gastlichen Grafenbruch wurde dann gerastet. Aber kurz vor Sonnen¬ untergang trieb es uns wieder auf den Kriegsschauplatz. Am Nest der Schwarzen war alles ruhig; keine Ameisenseele war zu entdecken. An dem Amazonennest aber gingen die schwarzbraunen Sklaven noch eifrig P alda mus, Deutsches Lesebuch. Ausg. 6. Quinta. Hessen. 17