44 Aus deutscher Vergangenheit und Gegenwart. Seiten hin. Ängstliche Sorge um ein paar Meterbreit Landes kennt man dort unten nicht. Dafür ist die Steppe zu unermeßlich und die Zahl der Menschen, die sie bebauen, zu verschwindend klein. So finden sich in ihr Wege von der Breite eines halben Kilometers und mehr. Auch unser braver Roffelenker kümmerte sich nicht viel um Weg und Steg; angetrieben von seinem eifrigen Zureden, wobei Kosenamen und kräftige Schimpsworte im bunten Durcheinander abwechselten, griffen unsere Rößlein munter aus. Wohl zwei Stunden ging die Fahrt auf einer Sandbank längs des Meeres zwischen der freien See und einen: der für Odessas Umgebung bezeichnenden eigenartigen Salzseen, an deren sumpfigen Elfern heilkräftige Schlammbäder genommen werden. Die Nebelschwaden hatten sich immer dichter und tiefer herabgesenkt, der Blick reichte kaum einen Fuß breit über die nickenden Köpfe des Dreigespanns hinweg; in dem feuchten Sande mahlten die Räder laut¬ los vorwärts; nur das aus nächster Nähe herüberdringende leise, ein¬ tönige Rauschen der auflaufenden Meereswellen und von Zeit zu Zeit ein verlorenes Möwengekreisch brachen die fast unheimliche Stille dieser Fahrt, die ins wesenlose Schattenreich zu führen schien. Endlich hatten wir wieder den schweren Boden der Steppe unter den Füßen, der Weg stieg langsam empor, und der Nebel trat zurück. In der Sommerszeit ist die ganze Steppe nichts wie ein wogendes Gräser- und Blütenmeer, das die Weizenäcker und Gehöfte der verloren über sie hingestreuten Dörfer umbrandet. Jetzt im Winter, ohne schimmerndes Schneegewand, war sie ein unermeßliches, einförmiges Dunkel, aus dem die bunten niedrigen Äolzhütten des ersten von uns berührten Dorfes, einer halb russischen, halb bulgarischen Kolonie, um so Heller und lustiger hervor¬ leuchteten. Von außen besehen machte es einen malerischen Eindruck mit seinen kunterbunt durcheinander gebauten Gehöften, die so auf¬ gestellt waren, wie wohl Kinder ein Dorf aus der Spielschachtel aus¬ packen. Auch die Männer mit ihren zottigen Bärten, den roten rus¬ sischen Äemden und den niedrigen Bastschuhen, deren Bänder bis zum Knie hinauf gewickelt waren, paßten gut in das bunte Bild. Aus der Nähe allerdings war alles trostlos, voll Schmutz und Verwahrlosung. Welcher Gegensatz dazu das schwäbische Dorf, das wir nach kurzer Fahrt erreichten, nachdem uns seine stattliche Kirche bereits über die Bucht des Salzsees herüber entgegengegrüßt hatte! Das Dorf Groß- Liebenthal — das Ziel unserer Steppensahrt — ist wohl die stattlichste deutsche Bauernkolonie am Gestade des Schwarzen Meeres. Eine Fürstin aus deutschem Blut, die Prinzessin Katharina von Anhalt-Zerbst, die als die Kaiserin Katharina II. von Rußland eine