33 das bittere Rennthiermoos trägt. Wenn die Sommerhitze hier oben eintritt, sieht es sich von zahllosen Mücken- und Fliegen¬ schwärmen verfolgt, welche Menschen und Thieren das Leben wahr¬ haft unerträglich machen. Es dringt daher von selbst daraus, daß seine Herren mit ihm an die kühle Meeresküste oder in die tieferen Thäler hinabziehen, wo die Wolken des Ungeziefers in den Winden zerstieben. Kaum aber naht der Herbst, so erwacht die Begierde nach dem Schnee der Berge, und vergebens wäre es, dem Verlangen des Thieres zu wehren. Die ganze Heerde der ohnehin nur halbgezähmten Renner würde gewattsam entlaufen, um in wilder Freiheit mit ihren Brüdern die Gebirge zu durchirren. Zieht der Lappe im Herbste auf die Alpen zurück, so werden die Rennthiere mit allem Eigenthum beladen, wie man Pferde beladet. Es werden dazu die stärksten ausgesucht, und man ver¬ theilt möglichst die Last; denn ein Rennthier trägt nicht viel. Den großen Leitthieren werden Glocken angehängt, und so wan¬ delt die Karavane, die mindestens 200, zuweilen aber mehr als 2000 Geweihe zählt, die öden Fjelden aufwärts in die unerme߬ lichen Wüsten, gefolgt von der Familie und umkreist von den wachsamen Hunden. Der Hausvater bestimmt endlich einen zur Winterrast geeigneten Ort. Hier baut er seine Hütte. Dabei sucht er gern die Nähe einer geschützten Schlucht, wo Birke und Kiefer wachsen, wo ein Bach niederstürzt, und er baut dann diese Hütte etwas fester, als das leichte Sommerzelt, bedeckt sie von außen mit Rasen, bekleidet sie innen mit den Fellen des Thieres, dem er Alles verdankt, und erwartet nun, umringt von seinen Vorräthen, die weiße, warme Decke, welche der Himmel ihm aus den Wolken schickt. Der Schnee fällt ellenhoch; aber das Renn¬ thier achtet das nicht. Es weiß mit seinen Hufen die Hülle sort- zuscharren, weiß die Kräuter und Moose darunter zu finden und rrrt auf diesen ungeheuern Schneefeldern umher, ohne je eines Stalles oder einer Wartung zu bedürfen. Neben dem Wohnplatze des Lappen steht meist noch ein Zelt. Hier speichert er auf, was er an Mehl, Fellen und Geräthen be¬ sitzt. Gewöhnlich aber hat er nichts, als einige hölzerne Schüs¬ seln, einen Kessel, einige Kleidungsstücke, einige Pclzdecken, und an den Zeltstangen hängen die Rennthiermagen, worin er seinen Milch- und Käsevorrath verwahrt. Auf einer andern Seite der Hütte ist aus Pfählen eine Arte Hürde gemacht, in welcher die Rennthiere des Tages zweimal gemolken werden. Dies ist das Anziehendste für den Fremden. Die Hunde und Hirten treiben die Heerden herbei, und die schönen Thiere mit den klugen, milden Augen bilden einen Wald von Geweihen. Die Kälber umringen die Mutter, und die jungen Thiere erproben spielend und stoßend ihre Kraft. Beim Melken wird jedem Thiere eine Schlinge über- Lüben und Racke, Lesebuch. IV. 3