Becker: Odysseus erzählt den Phäaken seine Abenteuer. 111 rief. Er kam, ein ungeschlachter Barbar in Riesengröße, und ohne ein Wort zu sprechen, packte er wie der Cyklop einen der Gesandten, um ihn zur Nachtkost zu verspeisen. Entsetzen ergreift die beiden andern; sie fliehen, von Todesangst gejagt, und eilen zu den Schiffen zurück. Wir sehen sie kommen, schon ahnen wir Schreckliches, aber eine noch grausenvollere Gewißheit folgte der Ahnung. Eine ganze Schar von Riesen, durch des Königs Gebrüll zusammengerufen, stürzte hinter ihnen her, und während wir noch die Schiffe loszubinden bemüht sind, stiegen schon ungeheure Steine auf uns los und zerschmettern Menschen und Schiffe. Ich allein hatte das meinige hinter einem Felsenhange be¬ festigt, wohin die Steine nicht dringen konnten; schnell hieb ich mit dem Schwerte das Seil durch, rief alle Gefährten, welche noch nicht erschlagen waren, in mein Schiff, und nun arbeiteten wir uns hastig vom Lande los ins weite Meer hinein. Mit Schaudern sahen wir die Lästrygonen unsere armen Zurückgebliebenen aufspießen und zur un¬ menschlichen Mahlzeit nach Hause tragen. Die andern Schiffe versanken alle in den Abgrund. f. Nun trieb die Strömung das einzig gerettete Schiff an die Insel Ääa. Hier herrschte die Göttin Circe, eine Tochter des Helios. Doch das wußten wir damals noch nicht, denn zunächst zeigte uns die Insel nur wildbewaldete Höhen. Das unablässige Rudern hatte uns ganz entkräftet, und die Betrübnis über die Folgen unserer Thorheit und über das klägliche Schicksal unserer Genossen nahm uns vollends allen Mut. Aber wir fanden doch einen sichern Hafen und somit einen Platz zum Ausruhen. Wir lagen in dumpfer Betäubung am Ufer zwei Tage und zwei Nächte lang, bis der gewaltige Hunger uns mahnte nach Lebensmitteln umherzuspähen. Ich ergriff Lanze und Schwert und ging in die nahe Waldung. Und ein Gott erbarmte sich meiner und sandte mir einen Hirsch mit hohem Geweih entgegen, der, ohne mich gewahr zu werden, zum Bache hinabstürzte, um seinen Durst zu löschen. Wie ein Blitz flog ihm mein Wurfspieß in die Seite, daß er jenseits wieder hervordrang, und mit einem Schrei sank das Tier zu Boden. Ich trat hinzu, und indem ich den Fuß gegen den Leib des Hirsches stemmte, zog ich den starken Wurfspieß wieder heraus. Mit schmeidigen Weidenruten band ich die Füße zusammen, warf mir dann mit Macht das Tier über den Nacken und trug es, unter der ungewohnten Last wankend und die Hand auf die Lanze gestützt, nach dem Schiffe. Seht da, ihr Freunde, rief ich, indem ich das Wild niederwarf, noch sorgt ein Gott für unser Leben. Fasset Mut! Eher können wir ja doch nicht in das Reich des Todes versinken, als bis der vom Schicksal be¬ stimmte Tag gekommen ist. Wohlan denn, so lange im Schiffe noch Speise und Getränk ist, lasset uns fröhlich sein und der Pflege des Leibes nicht vergessen! Und siehe, neues Leben goß der Anblick des stattlichen Tieres in die Adern meiner entkräfteten Genossen. Sie sprangen auf, wuschen sich die Hände und machten sich daran den Hirsch abzuhäuten und aus¬ zuweiden. Aus dem Fleische ward ein köstlicher Abendschmaus bereitet;