64 Ludwig Uhland modernen Welt immer unerreichbar blieb, so war es doch eine heilsame Rückkehr zur Natur, daß allmählich mindestens ein Teil der schönsten deutschen Gedichte der ganzen Nation lieb und verständlich wurde, wie schlug dem schwäbischen Dichter das Herz, als er die neu erwachende Liederfreude seines Volkes sah; voll Zuversicht rief er den Genossen dir nur allzu treulich beherzigte Mahnung zu: Singe, wem Gesang gegeben, In dem deutschen Dichterwald; Das ist Freude, das ist Leben, wenn's von allen Zweigen schallt! Der schlichte Mann konnte sich nicht satt sehen an dem lärmenden Gewimmel der Volksfeste, und das waren ihm die Augenblicke des höchsten Dichterlohnes, wenn er einmal auf einer Nheinreise irgendwo im Walde junges Volk mit frischen Stimmen seine eigenen Lieder singen hörte oder wenn ein Tübinger bemoostes Haupt in festlichem Uomitat über die Neckarbrücke hinauszog und das Abschiedslied „Ls ziehet der Bursch in die weite" bis in den Rebgarten des Dichterhauses am Gster- berge hinüberklang. Wohl umspannten seine Gedichte nur einen ziemlich engen Rreis von Gedanken; er sang wie einst die ritterlichen Dichter mit den Goldharfen fast allein „von Gottesminne, von kühner Melden Mut, von lindem Liebes¬ sinne, von süßer Maienblut". Auch in seinen Tragödien verherrlichte er mit Vorliebe die zähe Treue altdeutscher Freundschaft; ihnen fehlte die fortreißende Macht der dramatischen Leidenschaft. An das mächtige politische Pathos seines Lieblings Walther von der vogelweide reichten seine vaterländischen Gedichte nicht heran; der prometheische Drang, die höchsten Rätsel des Daseins, das woher und wohin der Menschheit zu ergründen, berührte sein ruhiges Gemüt selten. Darum wollte Goethe von den Rosen und Gelbveigelein, den blonden Mädchen und trauernden Rittern des schwäbischen Sängers nichts hören; er verkannte, daß ihm selber in der Lieder- und Balladendichtung niemand sonst so nahe ge¬ kommen war wie Uhland, und meinte herbe, in alledem liege nichts das Menschengeschick Bezwingendes. Die Deutschen aber hatten sich längst im stillen verschworen den Altmeister zu behandeln nach seinem eigenen Worte: wenn ich dich liebe, was geht's dich an? Der treue Schwabe wußte, wie unmöglich es ist, einen Meister seines Zrrtums zu überführen. Lr ließ sich durch die Ungerechtigkeit des Alten in seiner Liebe nicht beirren; er ward nicht müde dem Greise seine Sängergrüße zu senden und der Nation zu erzählen, wie dieser Uönigssohn einst in goldner Frühe das schlummernde Dornröschen, die deutsche Poesie, erweckte und wie das