120 Friedrich Wilhelm weber sondern der volle, frische, kräftige Hauch der Wirklichkeit, während man von manchem unserer Poeten sagen kann: er ist ein Riese, sobald er im Äther der Phantasie schwebt, und wird — im Gegensatze zu dem Antäus der hellenischen Fabel — schwach und haltlos, sobald er die Erde berührt, fließen bei Weber Lieben und Dichtung harmonisch in¬ einander. Tapfere, hingebende Arbeit für andere war die Wurzel seines Daseins und dessen Blume: die Poesie. Aus dem Spiegel der Weberschen Dichtung blickt uns das liebe Antlitz seines Heimatlandes Westfalen mit wechselndem, doch stets ge¬ winnendem Ausdruck entgegen. Tr war innig verwachsen mit diesem Boden, dem er entsprossen, mit der ruhmreichen Vergangenheit der Roten Erde, und in seinem Denken, Fühlen und Träumen lebte er auf ihr als "din echter Romantiker. Weber ist Westfale in seiner Anhänglichkeit an das Allererbte und Ehrwürdige, in seinem unbestechlichen Rechtsbewußt¬ sein und in seiner Gleichgültigkeit gegen äußeren Glanz. Aber die Schran¬ ken der engeren Heimat durchbricht die Liebe zum großen deutschen vaterlande. Weber war auch ein treuer Sohn unserer Nation. Das bezeugt die Fülle seiner epischen Gedichte, welche deutsche Sage und Geschichte verherrlichen; das bewies die Begeisterung, die ihn erfüllte, als unser Volk, von langem Schlafe erwacht, den glorreichen waffen- gang für seine Ehre und Einheit antrat. Die politische Tagestendenz machte auf ihn keinen Eindruck; aber für den großen, ideellen Zug un¬ serer Geschichte war er tiefempfänglich. Nichts war ihm in seinen: politi¬ schen Werdegang so förderlich, als daß er sein geistiges Interesse schon von Kindheit an in einer Richtung sammelte, in der Erwerbung der umfangreichsten Kenntnisse auf dem Gebiete des deutschen Altertums. Dadurch gewann sein nationales und politisches Empfinden eine eigen¬ tümliche Gestalt; es durchdrang die ganze Persönlichkeit, es schuf eine vertiefte, in sich gegründete Individualität. „Die ganze Erscheinung des Dichters", sagt ein Kritiker, „hat sicher für jeden, in dessen Adern deutsches Blut fließt, etwas Sympathisches an sich, auch für einen Freigläubigen, der sich offen als Nichtchristen be¬ kennt; aber ich glaube kaum, daß er einem nichtgermanischen Rassen- menschen wahrhaft und völlig vertraulich und gemütlich nahekommt. Weber war sicher ein Jünger und Vertreter einer deutsch-nationalen Poesie, die verschiedene Züge aufweist, welche als charakteristische Grund¬ züge unserer einheimischen Kunst von jeher eigen sind. Da findet man stark vorherrschend ein reflektierendes und beschauliches Element, wie es auch Walther von der vogelweide, der Lieblingsdichter Webers, besaß, die Freude am kurzen Spruch, — den Lebensernst, welcher der Tragik