I. Geschichte. 263 geweiht; — er wird gehängt am Weidenstrang unter dem Kinn, das Antlitz gen Mitternacht, an dürrer Eibe, — ein Wolf ihm zur Rechten und ein Wolf ihm zur Linken, — des friedlosen, rechtlosen Rechtsbrechers ältestes Abbild." „Er ist Wodan geweiht," wiederholte der Richter feierlich, — „wenn Wodan ihn will! Fragen wir den Gott." Mit Staunen blickten alle, mit leiser Hoffnung der Verurteilte zu dem Alten auf, der nun fortfuhr: „Schimpflich und schandvoll ist es dem Manne, zu schaukeln zwischen beit Zweigen, zwischen Himmel und Hügel! Und er war wacker bisher; — nur gegen seines Kindes Weinen war er zu weich! Nutzlos seinem Volke stirbt er, hängt er da hoch am Holze. Wohlan, fragen wir Wodan, ob er vielleicht ihm vergibt? Wolltet ihr alle doch wie der Kläger selbst zuerst die Tat ungestraft lassen. Das ging nicht an! Dem Hohen muß sein Recht dargeboten werden; aber — vielleicht will er es nicht nehmen. Ich rate: Fiskulf soll eine Tat wagen, in der er zu seines Volkes Heil fällt, unmeidbar fällt, wenn nicht etwa Wodan selbst sich seiner erbarmt und ihn rettend davon¬ trägt in dem weithin wallenden Mantel." „Sprich, rede! Was darf ich tun?" rief der Mann mit leuchtenden Augen. „Alles, alles! Gern will ich den Speertod sterben; nur nicht den Strang der Schmach!" „Du sollst zuerst, vor allen anderen, auf das stolzeste Schiff des Römer¬ führers springen und — du verstehst dich ja so gut darauf, die Flammen zu wecken! — Feuer werfen in seine Segel." „Ja, ja! Das soll er! Heil dem Herzog!" riefen da Tausende. Der Fischer aber sprang hart an den Stuhl des Richters, hob beide Hände zu ihm auf und rief: „Dank dir, Herzog! Ja, du kennst Wodans wahren Willen! Das größte Schiff der Römer, — das Feldherrnschiff in Arbor! — Nicht? — Wohlan! — Ich weiß noch nicht, wie ich an das Schiff gelangen werde da drüben; — aber ich sterbe, oder ich vollbringt." Da sprach der Herzog: „Das ist meine Sorge. Du sollst nicht zu jenem Schiff kvmnten, — Wodan wird das Schiff zu dir führen; — dann tu, wie ich dir sage." „Gern! Gern! O, gebt mir meine Waffen wieder!" Auf einen Wink des Richters gaben Frottboten ihm seinen Speer und seinen Schild, die mit F gezeichnet auf der Stufe beisammenlagen, zurück, und er trat nun in den Ring der Heergenossen, Don denen mancher sich nicht scheute, ihm die Hand zu reichen. i>6. Der Tod des Bonifatius. Bon G. Freytag. „Ingo und Jngraban." Leipzig 1899. Im Hof des Erzbischofs drängte sich an einem sonnigen Maimorgen das Volk der Stadt und der Landschaft. Zunächst an den Stufen des Palastes standen die geistlichen Brüder, auf der einen Seite Priester und