362 — Glaubst Du, Gott verleihe seinen Beistand zu einem Werke des Ungehor⸗ sams? Meinst Du, es dürfe sich jemand erdreisten, Gottes Hilfe zu einer bösen That anzurufen? O nein! Maͤkellos war das Unternehmen in den Augen des Ritters und des Beistandes Gottes würdig. Es ist daher Deine Anklage gegen ihn wegen Ungehorsams grundlos, und eher müßtest Du den Tapferen lebevoll in Deine Arme schließen, denn ihn als ungehorsam verdammen. Doch, könntest du einwenden, niemand hat mein Gesetz zu deuteln, und die Ordensregel verlangt unbedingten Gehorsam. In anderen Fällen mag dies ein gewichtiger Einwand sein, doch in dem vorliegenden Falle läßt sich so viel dagegen sagen, daß er ganz entkräftet wird Denn wer könnte dem Strome Halt geblelen, wer dem frischen Mute Rast? — Nicht leichtsinnig schritt der Held in den Kampf und über die Grenze des Ge— setzes, — nur der angeborene hochedle Rittersinn und das für die Leiden der Mitmenschen empfängliche Herz konnten ihn hinreißen. Gott selbst schien ihn in seinem Vorhaben zu mahnen, indem er ihm aufmunternde Träume sandte und seinem Vorsatze Unerschülterlichkeit. Mächtig regie sich in der jugendlichen Brust der Drang nach herrlichen Thaten, es pochte sein Herz bei dem Gedanken an die gepriesenen Helden der Vorzeit und ihre unsterblichen Verdienste, — und er sollte träger Muße pflegen? War er nicht zum Kampfe für die Religion, für die Ehre Gottes und den Schutz der Christen in den Orden getreten? — Die Heere der Ungläubigen waren derzeit nicht zu bekämpfen; kein äußerer Feind bedrängte Rhodus, und doch war der Landmann nicht sicher auf dem Felde, der Pilger bedroht auf dem Wege zur heiligen Kapelle. Gebot hier nicht die Ritterpflicht, das Schwert zu ergreifen? Und war der Sieg über den Drachen nicht gleich einem Siege über einen mächtigen Feind Gottes? So sprach das Herz, und seine Stimme übertönte den Rat des Verstandes und das Gebot des Gesetzes. Rasch und feurig, wie das Gefühl, welches ihn anspornte zum ersten Entschlusse, — so war die That gewagt und vollbracht. Und ist nicht dieser herrliche Erfolg des Kampfes die beste Verteidigung des Ritters? Er ist gleichfam ein Gottesurteil, zu Gunsten des heldenkühnen Jüng⸗ lings vor aller Augen zeugend. — Findest Du daher nach dieser Erwägung noch etwas Tadelswertes an dem Kampfe, so schreibe es auf Rechnung seiner Jugend und ihres edlen Feuers, das lieber Rat vom Herzen nimmt als vom kalten Verstande, und überlaß die Besserung dieses Fehlers der Zeit und dem reiferen Alter. Strafe ihn aber jetzt nicht, — er ist schon genug gestraft durch den kalten Empfang, den er hier gefunden; siegesfroh zog er unter dem Jubel der Menge hier ein und freute sich auf Deinen Beifall als den höchsten Lohn seiner That; — und was fand er? — Ernste Mienen und dumpfes Schweigen, und statt des Lobes mußte er eine schwere Anklage wegen Pflichtverletzung ver⸗ nehmen. Der Drachentöter steht hier als Angeklagter! So höre denn auf das Worl der Brüden, auf die Bitten der Menge; be— denke: „Vox populi, vox Dei!“ und sprich ihn frei; denn Er hat erfüllt die Ritterpflicht. Der Drache, der dies Land verödet, Er liegt von seiner Hand getötet; Frei ist dem Wanderer der Weg, Der Hirte treibe ins Gefilde, Froh walle auf dem Felsensteg Der Pilger zu dem Gnadenbilde.“