192 Goethe: Eigentum. Dämmrung. Lebensregel. Verniüchtnis. [48] Geheim Gefäß! Orakelsprüche spendend, wie bin ich wert, dich in der Hand zu halten? dich höchsten Schatz aus Moder fromm entwendend und in die freie Lust, zu freiem Sinnen, »o zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend. Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, als daß sich Gott-Natur ihm offenbare, wie. sie das Feste läßt zu Geist verrinnen, wie sie das Geisterzeugte fest bewahre! 80. Eigentum- Veröffentlicht 1827. Ich weiß, daß mir nichts angehört als der Gedanke, der ungestört aus meiner Seele will fließen, und jeder flüchtige Augenblick, den mich ein liebendes Geschick von Grund aus läßt genießen. 81. Dämmrung. Frühjahr 1827. Ton: Brahms vp. 59 Nr. 1. 1. Dämmrung senkte sich von oben, schon ist alle Nähe fern; doch zuerst emporgehoben holden Lichts der Abendstern! Alles schwankt ins Ungewisse, Nebel schleichen in die Höh'; schwarzvertiefte Finsternisse widerspiegelnd ruht der See. 2. Nun am östlichen Bereiche ahn' ich Mondenglanz und Glut, schlanker Weiden Haargezweige scherzen auf der nächsten Flut. Durch bewegter Schatten Spiele zittert Lunas Zauberschein, und durchs Auge schleicht die Kühle sänftigend ins Herz hinein- 82. Lebensregel. 25. Oktober 1828. Willst du dir ein hübsch Leben ziinmern, mußt dich ums Vergangne nicht be¬ kümmern ; das Wenigste muß dich verdrießen; mußt stets die Gegenwart genießen, besonders keinen Menschen hassen und die Zukunft Gott überlassen. 83. Vermächtnis. Februar 1829. 1-Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! das Ew'ge regt sich fort in allen, am Sein erhalte dich beglückt! das Sein ist ewig; denn Gesetze bewahren die lebend'gen Schätze, aus welchen sich das All geschmückt. 2. Das Wahre war schon längst gefunden, hat edle Geisterschaft verbunden, das alte Wahre saß es an! Verdank' es, Erdensohn, dem Weisen, der ihr die Sonne zu umkreisen und dem Geschwister wies die Bahn. 3- Sofort nun wende dich nach innen, das Zentrum findest du da drinnen, woran kein Edler zweifeln mag. Wirst keine Regel da vermissen; denn das selbständige Gewissen ist Sonne deinem Sittentag. 4. Den Sinnen hast du dann zu trauen; kein Falsches lassen sie dich schauen, wenn dein Verstand dich wach erhält. Mit frischem Blick bemerke freudig, und wandle, sicher wie geschmeidig, durch Auen reichbegabter Welt. s-Genieße mäßig Füll' und Segen Vernunft sei überall zugegen, wo Leben sich des Lebens freut. Dann ist Vergangenheit beständig, das Künftige voraus lebendig, der Augenblick ist Ewigkeit. «-Und war es endlich dir gelungen, und bist du vom Gefühl durchdrungen: was fruchtbar ist, allein ist wahr; du Prüfst das allgemeine Walten, es wird nach seiner Weise schalten, geselle dich zur kleinsten Schar. 7. Und wie von alters her, im stillen, ein Liebewerk, nach eignem Willen, der Philosoph, der Dichter schuf; so wirst du schönste Gunst erzielen: denn edlen Seelen vorzufühlen ist wünschenswertester Beruf.