9 Die Strafe finden, sondern durch des Schicksals Spruch: Und endlich mahne! sie, daß nie ein guter Mann Mit einem Bösewicht Gemeinschaft machen soll". Eine elende Fabel, wenn niemand anders, als ihr Erfinder es erklären kann, wie viele nützliche Dinge sie enthalte! — Kaum sollte man glauben, 5 daß einer von den Alten, einer von den großen Meistern in der Einfalt ihrer Pläne uns dieses Histörchen hat für eine Fabel verkaufen können. Breitinger. Ich würde von diesem großen Kunstrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken noch überall Recht hätte. — Er gibt uns 10 aber eine doppelte Erklärung von der Fabel. Die eine hat er von de la Motte entlehnt, und die andere ist ihm ganz eigen. Nach jener versteht er unter der Fabel „eine unter der wohlgeratenen Allegorie einer ähnlichen Handlung verkleidete Lehre und Unterweisung". — Der klare, übersetzte de la Motte! Und der ein wenig gewässerte, könnte t5 man noch dazusetzen. Denn was sollen die Beiwörter: wohlgeratene Alle¬ gorie, ähnliche Handlung? Sie sind höchst überflüssig. Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn verspürt. Richer sagt: Die Lehre soll unter dem allegorischen Bilde versteckt (eaedö) sein. Versteckt,! welch ein ungeschickliches Wort! In manchen Rätseln sind 20 Wahrheiten, in den pythagorischen Denksprüchen sind moralische Lehren ver¬ steckt, aber in keiner Fabel; die Klarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Teilen einer guten Fabel aus einmal hervorstrahlt, hätte durch ein ander Wort als durch das ganz widersprechende „versteckt" aus¬ gedrückt zu werden verdient. Sein Vorgänger de la Motte hatte sich 25 um ein gut Teil feiner erklärt; er sagt doch nur verkleidet (ckeKuise). Aber auch verkleidet ist noch viel zu unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer mühsamen Erkennung mit sich führt. Und es muß gar keine Mühe kosten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich so reden darf, Mühe und Zwang kosten, sie darin nicht zu er- 30 kennen. Aufs höchste würde sich dieses verkleidet nur in Ansehung der zu¬ sammengesetzten Fabel entschuldigen lassen. In Ansehung der einfachen ist es durchaus nicht zu dulden. Von zwei ähnlichen Fällen kann zwar einer durch den andern ausgedrückt, einer in den andern verkleidet werden; aber wie man das Allgemeine in das Besondere verkleiden könne, das begreife 35 ich ganz und gar nicht. Wollte man mit Gewalt ein ähnliches Wort hier brauchen, so müßte es statt verkleiden wenigstens einkleiden heißen. Von einem deutschen Kunstrichter hätte ich überhaupt dergleichen figür¬ liche Wörter in einer Erklärung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den schön vernünftelnden Franzosen überlassen sollen, sich damit aus dem 40 Handel zu wickeln, und ihm würde ks sehr wohl angestanden haben, wenn er uns mit den trockenen Worten der Schule belehrt hätte, daß die moralische