III. Literatur und Sprache. 16. Zur homerischen Frage?) Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Homerische Untersuchungen, in „Philologische Untersuchungen" Heft 7. Berlin 1884. S. 380 u. 414 sf. Ein erlauchter Dichtername war Homer um 650, das wird er bleiben in Ewigkeit. Er ist ohne jeden Zweifel ein leibhafter Mensch und ein Dichter gewesen. Ob aber ein großer Dichter —, wer weiß es? Wenn er die Patrokleia oder die XvxQa (tytra)* 2) gedichtet hat, so war er es; wenn er unsere Ilias gemacht hat, so war er ein Flickpoet. Wer an eine Gerechtigkeit und Vorsehung des Himmels glaubt, mag glauben, daß er ein großer Dichter gewesen ist, weil er der Dichter xar l^oyr\v [kat’exochen — vorzugsweise) geworden ist. Wer auf das Glauben verzichtet, wird es nicht einmal sehr traurig finden, daß uns in diesem wie in vielen Fällen, wo es sich um einzelne Menschen handelt, das Wissen fehlt. Denn am einzelnen Menschen liegt überhaupt nicht viel. Und wenn die Schönheit des Werkes seinen Urheber oder seine Urheber hat vergessen lassen, so ist das eine schönere Unsterblichkeit als der Namensdauer. Wir aber mögen getrost des vnorprjrrjg [hypophetes — Dolmetscher) vergessen und der Göttin, die er selber als die Quelle seiner Poesie anruft, für die Offenbarung der ewigen göttlichen Schönheit danken, die heute leuchtet, nach Jahrtausenden leuchten wird, herrlich wie am ersten Tag. . . Der Inhalt der Ilias hat sowohl einen historischen wie mythischen Gehalt. Ein historisches Faktum liegt zugrunde. Gewiß, so gut wie Dietrich von Bern, Etzel und Günther historische Personen sind, so gut sind solche in der Ilias; z. B. mag man es von Priamos und Paris glauben; aber auch die Ahnherren der äolischen und ionischen Geschlechter sind zwar schwerlich Einzelpersonen von Fleisch und Blut gewesen, aber die Geschlechter und Stämme, die Agamemnon und Nestor ihre Ahnen nannten, sind sehr körperliche und reale Größen. Auf der andern Seite ist der Raub der Helena und ihre Wiedergewinnung ein allgemein mythisches Motiv, auf das die Ilias nicht mehr Anspruch hat als das diakrische oder lakonische Aphidna. Der Raub Medeias und ihre Heimholung ist ein paralleler Mythos. Der Sohn des „Mannes vom Pelion" und der Meerfrau, y Anm. d. Herausg.: Die homerische Frage beschäftigt sich mit dem Problem, ob die Homerischen Gedichte von einem oder von mehreren Dichtern herrühren, und ob die berichteten Ereignisse geschichtliche Tatsachen sind. Volle Einigung ist darüber noch nicht erzielt. Das ist jedoch sicher, daß der alexandrinische Philologe Aristarch von Samothrake sf 150 v. CH.) den Text der Homerischen Gedichte so hergestellt hat, wie er heute vorliegt. 2) Anm. d. Herausg.: katrokleia — 16., tytra sLösegeld) — 24.Gesang des Ilias.