159 Allmählich kam die Dämmerung herauf; es wurde immer dunkler und stiller, und nachdem die lauten, lustigen Vögel in ihre Nester gekrochen waren, schlüpften die häßlichen Fledermäuse hervor und schwirrten und huschten durch die Abendluft. — Da kam um die Ecke der Scheune ein Mann daher. Er¬ schlich leise und ängstlich immer der Mauer entlang, wo es am dunkelsten war. Dabei sah er sich scheu nach allen Seiten um, ob auch kein Mensch da wäre, der ihn bemerken könnte. Als er sich aber ganz sicher glaubte, kletterte er auf die Mauer, kroch dort auf allen vieren wie eine Katze weiter, bis an eine Stelle, wo die Mauer ans Haus stieß, und schwang sich dann in ein Fenster des Hauses hinein, das gerade offen stand. Der Mann hatte aber recht böse Dinge im Sinne, denn er war ein Dieb und gedachte die Leute, die in dem Hause wohnten, zu bestehlen. Nachdem er durch das Fenster hineingekrochen war, befand er sich in einer leeren Kammer, dicht daneben war die Wohn¬ stube der Hausbewohner; eine Türe, die dort hineinführte, war nicht verschlossen, sondern nur leicht angelehnt. Der Dieb wußte wohl, daß die Leute ebenfalls auf den Jahrmarkt gegangen; doch dachte er, es könnte vielleicht zufällig jemand in die Stube gekommen sein, legte daher das Ohr an die Türspalte und horchte. Drinnen hörte er ein Kind laut sprechen, und wie er durchs Schlüsselloch guckte, sah er beim Dämmerscheine, daß es ganz allein mit gefalteten Händen in seinem Bettchen saß, — das Kind betete, wie es immer vor Schlafengehen tat, laut sein Vaterunser. — Schon sann der Mann darüber nach, wie er dennoch seinen Diebstahl am besten ausführen möchte, da hörte er, wie das Kind mit lauter, klarer Stimme eben die Worte betete: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel!" Das ging dem Manne tief zu Herzeu, und sein Gewissen erwachte. Er fühlte, wie schwer die Sünde sei, die er eben hatte begehen wollen. Da falteten sich auch seine Hände, und auch er betete inbrünstig für sich: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel!" — Und der liebe Gott er¬ hörte ihn. Auf demselben Wege, den er gekommen, schlich er wieder zurück bis in sein Kämmerlein. Dort bereute er von ganzem