160. Das Kind unter den Wölfen. Friedrich Jacobs. f dem Riesengebirge lebte eine alte Frau, die hütete die Kühe des Dorfes. Einmal saß sie mit ihrem Kinde am Rande des Waldes und gab dem Kinde Brei aus dem Napfe. Die Kühe weideten unter¬ dessen auf dem Grase. In dem Walde aber waren böse Wölfe, und als die Kühe von dem Grase in den Wald gingen, wo es kühl war, dachte die Frau, der Wolf könnte kommen und die Kühe fressen. Da gab sie dem Kinde den Napf mit dem Brei und einen hölzernen Lössel dazu und sagte: „Da, Kindchen, nimm und iß; nimm aber den Löffel nicht zu voll!" Nun stand sie auf und ging in den Wald und wollte die Kühe heraustreiben. Wie nun das Kind so allein dasaß und aß, kam eine große, große Wölfin aus dem Walde herausgesprungen, gerade auf das Kind los, faßte es mit den Zähnen hinten an der Jacke und trug es in den Wald. Als die Mutter wiederkam, war kein Kind mehr da, und der Napf lag auf der Erde, aber der Löffel lag nicht dabei; denn den hatte das Kind in der Hand fest¬ gehalten. Wie das die Mutter sah, dachte sie gleich: das hat kein anderer getan als der Wolf, lief in das Dorf und jammerte und wehklagte und rief um Hilfe. Unterdessen kam ein Bote durch den Wald, der hatte sich verirrt und wußte nicht, wo er war. Wie er so durch die Büsche ging und den Weg suchte, hörte er etwas sprechen und dachte gleich: da müssen wohl Leute sein! Und es sagte immer: „Geh, oder ich geb' dir was!" Wie er nun das Gebüsch voneinander tut, sitzt ein Kindchen auf der Erde und sechs kleine Mölschen um es her, die fahren immer auf das Kind zu und schnappen ihm nach den Händen. Die alte Wölfin war nicht dabei, die war 204 r