B. Des Hauses Gemeinschaftsleben 23 Vater seufzte denn auch über die Schande, daß er zum erstenmal in sei¬ nem Leben den Zins nicht werde zahlen können. Da war nun keine Spielenszeit mehr für uns Rinder. Während Stineliese an der Mutter Statt bei Bornriekens für die Ackerschuld ar¬ beitete, mußten wir kleinen, wenn wir aus der Schule kamen, ins Feld und krauten oder auf unseren Ackern arbeiten. Ich konnte zwischen Zchulschluß und Mittag immer gerade noch eine Tracht einbringen, denn um das bare Einkommen mehren zu helfen, mußte ich nachmittags nach dem gräflichen Hofe ins Tagelohn. Das ergab allemal einen guten Groschen. Ach, du lieber Gott, ja! was unsereins am Abend verdient hatte, das hatte er am Mittage ja schon wieder aufgegessen. Da kam nicht selten ein Tag, daß wir auch nicht einen Rnust im Schranke hatten. Nichts aber war mir peinlicher, als wenn ich ohne Halbabendbrot ins Tagelohn mußte: nicht des Hungers wegen, sondern weil ich mich bitter schämte, wenn die anderen ihre „Stücker" aßen und merkten, daß ich nichts hatte. Armut und Not ist nur halb so schwer zu ertragen, wenn man sie seinen lieben Mitmenschen nicht auf die Zähne zu hängen braucht. 3. Beim Haferbinden auf der Rlosterseite war's einmal — es ängstigt mich noch manchmal im Traume —, als ich nicht ein Rrümchen in der Tasche hatte- ich war aber satt von der Angst vor der vesperstunde. Und als sie endlich kam und die Leute nach ihren Vesperstücken liefen und sich kauend auf den Rasenweg setzten, hielt ich mich erst abseits und tat, als suchte ich ein vierblättriges Rleeblatt. Dann ging ich zu den Feldrosenbüschen, an denen ich immer eine so heimliche Freude hatte. Und sie lachten mich an und labten mich mit ihrem köstlichen Dufte, daß ich für eine weile alle Not und Pein vergaß. Bertrams wieschen, das auch mit einlegen half, kam mir nach und aß ein großes, schönes Butterbrot vor meinen Augen- es schien gar nicht zu merken, daß ich nichts zu essen hatte. Ich war herzlich froh darüber, habe mich nachher aber doch im stillen gefragt, ob sie wirklich nichts merkte - ob sie nichts merken wollte, um nicht mit mir teilen zu müssen. Dreißig Iahre spä¬ ter, als sie in bitterkalter Winternacht vor ihrem Manne, einem schreck¬ lichen Saufteufel, zu mir flüchtete und ich sie wie eine Schwester aufnahm und erquickte, mußte ich unwillkürlich noch an iene vesperstunde denken. Ach, es kommt alles wieder herum! wir sollten daran denken in der Iugend, und wir sollten daran denken, wenn's uns gut geht. Ts kommt alles wieder herum. Dankbare Erinnerungen bewahre ich aus jener schlimmen Zeit nach an drei alte Frauen, und immer sind es-die Oktoberstürme, welche diese Erinnerungen, wenn sie einmal längere Zeit erloschen schienen, wieder rütteln, wecken und anfachen. 4. Es war schon über die Mitte des Oktobers hinaus, als ich noch mit einem großen Tagelöhnertrupp auf der großen Rartoffelbreite vor dem kleinen Hagen harkte. Rodemaschinen gab's damals noch nicht - die jün¬ geren Frauen sowie die Burschen und Männer rodeten mit der drei¬ zackigen Grepe, und die alten Frauen mit den Rindern lasen die Rar-