208 Zweiter Teil. In Dorf und Heimat. Rauf. von dem Jubel der Neckenden begleitet, wandern wir hin und her auf dem Berge. Die freudige Stimmung während des Geschäfts der Lese herrscht überall. Nus der Nachbarschaft kommen Weinbergsbesitzer, kosten und prüfen Trauben und Most. Nn den fahrbaren Wegen stehen große Bottiche, in die der Inhalt der sogenannten Lege! entleert wird. Letztere sind unten spitz zulaufende, oben breitere Holzbütten, die an zwei festen Lederriemen auf dem Rücken getragen werden und neunzig bis hundert Pfund Trauben fassen. Je nach der Vrtlichkeit werden diese schweren Lasten auch häufig bis hinunter ins Relter- haus geschleppt, vorher bearbeitet der Träger mit zwei Mostkolben im Lege! selbst die ganze Traubenmasse, oder sie wird sogleich an Grt und Stelle durch eine (Huetschmühle zu „Maische" gemahlen. Ts bildet sich eine braungelbe und dunkelrote, nichts weniger als klare Brühe, die dann in die Bottiche geschüttet wird. Da die Mostbrühe nicht lange in den Bütten mit den Trauben zusammenstehen darf, sondern sofort bearbeitet sein will, so geschieht das Geschäft des eigentlichen Relterns häufig des Nachts. Die schweren Balken der Reiter treiben den Rebensaft bis auf den letzten Rest aus den Beeren heraus. Einladend sieht der junge Most, der nun in großen Fässern in den Reller gebracht wird, nicht aus. Vis derselbe als goldheller oder dunkelroter wein auf unfern Tisch kommt, hat er noch ver¬ schiedene Gärungs- und Währungsprozesse durchzumachen. Gegen ñbend ertönen vom rechten Rheinufer Flintenschüsse hin¬ über zum Zeichen, daß das Lesegeschäft für heute beendet ist. Die Weingärten bleiben die Nacht über, vom „wingertschuß" bewacht, geschlossen, ñuf der linken Rheinseite wird zur Äffnung der Wein¬ gärten morgens 7 Uhr und zum Schluß abends etwa 6 Uhr das Zeichen mit den Rirchenglocken gegeben. Schüsse und Glockenschläge mischen sich mit dem Jauchzen der heimkehrenden Winzer, das Echo dieses Lebens und webens hallt in den Bergen wider- über uns steigen Raketen auf, und bengalisches Feuer beleuchtet unsern Heimweg. Wilhelm Riehl, in: Blümlein, Heimatkunde von Hessen-Nassau.