92 3 M 15. Saul und David.* Der König! sitzt auf seinem Trone bang; Er winkt, den Sohn des Isai? zu rufen: „Komm, Knabe, komm mit deinem Harfenklang!“ Und jener läßt sich nieder auf den Stufen. „Der Herr ist groß!“ beginnt er feierlich, „Geschöpfe spiegeln ihres Schöpfers Wonne; Der Morgen graut, die Wolken teilen sich, Und wandelnd singt ihr hohes Lied die Sonne.“ Die schwere Krone löse*“ dir vom Haupt Und tritt hinaus in reine Gotteslüfte! Die Lilie prangt, der Busch ist neu belaubt; Die Reben blühen und verschwenden Düfte. Zwar bin ich nur ein schlichter Hirtensohn,“ Doch fühl' ich bis zum Himmel mich erhoben; Und du, was mußt du fühlen auf dem Tron, Wie muß dein Herz den Gott der Väter loben! Doch deine Wimper neigst du tränenschwer, Daß sie des Auges schönen Glanz verhehle. Wie groß ist doch Jehova! Blick' umher, Und welche Ruhe füllt die ganze Seele! So laß dein Herz an Gott, so laß dein Ohr An meiner Töne Harmonie sich laben!“ Allein der König springt in Wut empor Und wirft den Spieß nach dem erschrock'nen Knaben. Platen. * Obiges Gedicht besingt einen ähnlichen Stoff wie „Des Sängers Fluch“; nur ist es hier zunächst der blinde, wahnwütige Herrscherstolz des judäischen Königs, der bei den Mahnworten des schlichten, frommen Hirtenknaben seine Königswürde verletzt fühlt, indem er an keinen Gott glauben will, der höher stehe als er; geschichtlich übrigens kann nur erwiesen werden, daß Saul ein festes, straffeßs aber gerechtes Regiment führte. Der erste israelitische König (1067 —1054 v. Chr.) » Der zweite König des israelitischen Reiches, dessen zlorreiche Regierung den Juden als das Ideal eines Priester-Königtums erschien; er war von dem Propheten Samuel als Gegenkönig Sauls gewählt worden, worüber dieser in tiefe Schwermut verfiel, von der er sich durch Musik und Ge— sang zu befreien suchte. 5 Vgl. P. 407*! Ist der Ausdruck bildlich g nehmen oder nicht? »Isai, Davids Vater, war übrigens ein angesehener Mann aus dem Stamme Juda.