159 gerade und breit, oft abschüssig und krumm, winkelig und eng. Nirgends sehen wir ein gleichförmiges Einerlei, nirgends Regimenter von Häusern in gleicher Uniform, Höhe und Richtung. Schmale, alte Häuserchen mit vorspringenden Giebeln und Erkern lehnen sich nachbarlich vertraut an das Prachtgebäude des reichen Kaufmanns oder Fabrikherrn. Schön verzierte Fenster und Türen, geschnitzte Tragbalken, zierliche Erker und Säulen fesseln das Auge des Fremden bei jedem Tritte. Hier prangen Wappen in Stein oder Metall über den Toren, dort schauen alte Heiligenbilder aus ihren Nischen zwischen den Fenstern oder von ihren Postamenten (Traggestellen) an den Ecken hernieder in das Getriebe der Menschen. Und schweift der Blick weiter nach oben, so sehen wir mit Staunen die eigen¬ artigen, in Stufen hoch aufsteigenden Giebel, die wunderlichen Türm¬ chen mit oft seltsamen Wetterfahnen. Überall gibt sich an den alten Wohnungen der ehemaligen Reichsbürger eine gewisse Unregelmäßig¬ keit kund. Oft sind Fenster von dreierlei Größe an ein und demselben Hause, bald nahe bald fern voneinander stehend. Der Wille des Bauherrn war oberstes Gesetz. Die meisten dieser alten Nürnberger Häuser sind unten von Stein, in den obern Teilen aber Von Holz und Fachwerk erbaut; die zutage liegenden Balken sind kunstvoll geschnitzt und das Ganze ist sehr dauerhaft und stattlich. Durch ein Gewirre sich kreuzender und windender Straßen sind wir bis zum Markte gelangt, wo sich die Schönheit der alten Stadt besonders deutlich zeigt. Wir grüßen an der figurenreichen Marienkirche das liebliche Marienbild, wir warten auf das Männlein¬ laufen — beim Schlagen der Uhr schreiten die Kurfürsten huldigend am Kaiser vorbei — und stehen dann bewundernd still vor dem Schönen Brunnen. Es ist ein leicht und frei emporsteigender, zier¬ lich durchbrochener Turm von 18 m Höhe. Nicht weniger als 24 kunstvoll aus Stein gehauene Standbilder von Herrschern, Helden und Propheten stehen in den Nischen dieses Wunderwerks der Bildnerei. Auf unserm Weitergange besuchen wir die herrlichen Kirchen von St. Lorenz und St. Sebald, beide reich an Kunstschätzen. An dem Sakramentshäuschen in der ersteren sind die Ranken und Zweige und Blumen aus Sandstein mit so wunderbar feiner, ganz unbegreif¬ lich scheinender Kunst gemeißelt, daß die Sage entstand, sein Meister Adam Krafft habe das Geheimnis besessen Stein weich zu machen und in Formen zu gießen. In St. Sebald befindet sich das prächtige Grabmal dieses Heiligen, an dem der Rotgießer Peter Vischer mit seinen 5 Söhnen volle 13 Jahre lang arbeitete. An der Außenseite der Kirche hängt eines der ältesten Werke des Nürnberger Erzgusses, ein 18 Zentner schweres, von Zeit und Wetter geschwärztes, angeblich silbernes Kruzifix. Nach der Sage habe der Nürnberger Rat in schweren Kriegszeiten das Ganze schwarz übermalen lassen, damit