Die neue Heimat im Osten. 313 mãächtige Grobstadt, eine Residenz der Arbeit, dio Königin des Reviers. Und nun gar Essen! Essen, das zu Anfang des 19. Jahr- hunderts noch ein geistliches Stift war und nur 3400 Einwohner ãhlte, Essen, das „ein Geschenk der Kohlen“ und eine Schöpfung genialen Unternebmungsgeistes ist. Es mub; in Essen vor 100 Jahren nicht hübsch gewesen sein. Justus Gruner hat eine nicht eben anziehende Schilderung von Essen hinterlassen. „Allen Be— quemlichkeiten des Lebens mubß man hier entsagen. — Schmutzi- gere Geschöpfe und gröbere Wirte trifft man in ganz Deutschland nicht an. — Da man gern reichestädtischer Bürger sein möchte, so glaubt man diesen Titel dureh Grobheit verdienen zu müssen ... dchiefe, schlecht gepflasterte Gassen, altmodische, zum Teil ver- fallene Gebäude, Unreinheit, Enge und Dunkelheit sind die Alter- tumszeugnisse. Bei dem gänzlichen Mangel an Beleuchtung ist ein Gang abends lebensgefährlich, indem sich häufig gerade in der Mitte und an den dSeiten des Weges grobe Pfähle befinden, auf die man losrennen mulßò. Polizei jeder Art ist in Essen fremd.“ Und in dieser Tonart geht es weiter über den städtischen Haus— halt, die schlechten Schulen, die Streitigkeiten der Gerichte usw. Welceh ein Gegensatz zum heutigen Essen! Welch eine riesen- hafte Entwicklung in der kurzen Spanne eines Jahrhunderts! Das aber unterscheidet doch bei mancher sonstigen Ahnlichkeit den Ruhrbezirk von amerikanischer Entwicklung, daß sich der ver— blüffende Fortschritt hier von dem Hintergrunde einer ehrwür— digen und alten Geschichte abhebt. Alteste und modernste Spuren und Denkmäler berühren sich hier unmittelbar. Mitten im Treiben des Dortmunder Bahnhofs erhebt sich die ehrwürdige, pietätvoll geschonte Femlinde über dem steinernen Tisch und der Bank des dtuhlrichters. Aaus modernen Straßen gelangt man in vielen dtãdten des schwarzen Reviers zu „alter Kirchen ehrwürdiger Pracht“, wo halbverwitterte Grabmãäler und noch heute in köst- licher Farbenpracht funkelnde Glasgemälde uns in längst ver— gangene Tage mitten hineinversetzen. Und ein Stück aus den lãrmenden Städten hinaus stoben wir auf alte, verfallene Stamm- burgen, die von den Höhen herab trotzig auf die Hochburgen der modernen Arbeit und die reichen Wohnhäuser der modernen Han- delsherren herabblicken. Ein merkwürdiges Land, ein Land mit eigenen Häbßlichkeiten und eigenen Schönheiten, ein Land der Gegensätze, dies Land, „wWo der Märker Eisen reckt“! R. H. Die Post). 160. Die neue Heimat im Osten. Dem jungen Bauer Karl Becker war durch drängende, gewinn— süchtige Gläubiger das Gut versteigert worden.