2. Wozu leben wir? 2. Wozu leben wir? Wozu leben wir? Wer sich diese Frage niemals vorgelegt und niemals den Versuch gemacht hat, ernsthaft darüber nachzudenken, der verdient eigentlich gar nicht zu leben. Er lebt entweder ein ganz zielloses Leben, oder seine Lebensziele sind solche, die er sich nicht selber mit Bewußtsein vorgesteckt hat. Beides hat annähernd den gleichen Erfolg. Denn der Mensch, der sich nicht selbst mit Bewußtsein ein be— stimmtes Lebensziel vor Augen setzt, erhält seinen Lebensweg von anderen oder vom Zufall gewiesen. Es ist natürlich, daß der Mensch nicht von klein auf an Lebens— ziele denken kann. Dem kleinen Jungen sagt sein Vater, wenn es ein vernünftiger Vater ist: Du lebst zunächst, um zu lernen und ein braver Mensch zu werden. Und wem das der Vater nicht sagt, dem sagen es andere Erzieher. Sie sagen es dem Kinde in der Vor— aussetzung, daß es vorläufig genügend sei. Späler kommt aber ein Zeitpunkt, wo diese einfache Lebens— regel nicht mehr ausreicht. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, ist ver— schieden. Der Sohn wohlhabender Eltern, der bis zu seinem acht⸗ zehnten Lebensjahre einen wohlgeregelten Schulgang durchmacht, hat lange, nämlich bis zu seiner Berufswahl, keinen äußeren Anlaß, über die Frage, wozu er eigentlich lebt, ernsthaft nachzudenken, wenn nicht Er— zieher, Freunde oder Bücher ihm diesen Anlaß geben. Für den heran— wachsenden Menschen, der keinen solchen geregelten Lebensgang hat, kann die Frage früher schon brennend werden. Ja — wozu leben wir? Je nach der Erziehung und dem Charalter des Menschen kann eine ganze Reihe von Antworten auf diese Frage gegeben werden. Einer wird vielleicht sagen: Ich lebe, weil ich leben muß, weil ich einmal da bin. Das ist keine ganz unvernünftige Antwort auf die Frage; es läßt sich aus dieser Antwort noch etwas machen, nur muß man sie vertiefen. Ein anderer wird vielleicht sagen: Ich lebe, um glücklich zu werden. Auch aus dieser Antwort läßt sich etwas machen. Nur muß man, wenn sie etwas bedeuten soll, wissen, was das Glück ist. Wenn uns aber jemand sagt, er lebe, um das Beste aus dem Leben zu machen, was sich daraus machen läßt, so ist das die richtige Antwort. Richtig, soweit sie in einem so kurzen Satze ausgesprochen werden kann. Ein Dichterwort, welches das Volk sich zu eigen ge— macht hat, lautet: Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben. Dieses Leitwort läßt sich darüber aus, wie man