93 Es ist mir lieb, lieber Vater, dab ich Euch alles so schreiben darf, und dah ich's auch Kann. Meine Kameraden auf der Stube haben sich einen Briefsteller gekauft, und daraus schreiben sie die Briefe ab. Ist das nicht eine Schander? Fuür was hat einem Gott seine eigenen fünf Finger und Augen und Hirn gegeben? Ich mübte mich schämen, aus einem fremden Buche abzuschreiben. Wie hann ein anderer wissen, was ich zu schreiben habe? Habe ich recht oder nicht, lieber Vater? Da fullt mir ein; Sagen könnte ieh doch meht „lieber Vater“, ich weißb nicht, warum; aber schreiben kann ich's. Wenn man so wen getrennt ist, geht einem das Herz auf, und man schãmt sich nicht. WMenn ich die Schur habe, lese ich auch oft Bücher, schöne Volkserzählungen, und die Geschichte vom RKaiser Napoleon habe ich auch vom Feldwebel gelesen. Es war doch ein ganzer Mann, der Napoleon, aber recht ist ihm auch geschehen, ich meine, er hat's 2u weit getrieben. Ich wollte, ieh rtte ihn aueh einmal gesehen! Nicht wahr, Ihr habt ihn oft gesehen? MNir haben von dem Kaiser Napoleon doch etwas Gutes übrig behalten, und das ist unsre Landwehr. Mein Feldwebel sieht dem Napoleon ganz ãhnlich, ich glaube, wenn's Krieg gäbe, der würde ein grober Mann, er könnte ein Marschall Soult werden. Im Soldatenleben lernt sich der Mensch allein helfen. Ich koche und flicke und nähe und putze die Stube auf wie ein Erauen-— zimmere Es bommt mir oft gane absondetleca ooe orooe Haus voll lauter Männer! Es ist gut, dab es nicht zehn Jahre währt. Am letzten Dienstag war ich auf Wache, drausden auf dem Har denberg. Ich bin gerade von 12 bis 2 Uhr auf den Posten gekom— men. Es war mir ganz eigen 2u Mut, als ich so allein hoch oben auf dem Berge da stand. Es war eine stockdunkle Nacht, kein Stern am Himmel, und die ganze Welt war wie tot; nur dort neben zog sich der Rhein wie ein blasser Streif hin, und man hörte sein Rau— schen, von dem man bei Tag gar keinen Laut vernimmt. Mir ist es vorgekommen, als ob die ganze Welt ausgestorben und ich allein da übrig geblieben wäre — man kommt doch oft auf sonderbare Gedanken, aber man kann nichts dafür — da höre ich jetzt das Feld- geschrei, wodurch die Posten einander wach erhalten. Ich habe doch den Zuruf schon oft und oft gehört, aber diesmal hat er mich gan besonders ergriffen. Zuerst habe ich ihn aus weiter Ferne vernom men, als ob er aus einer tiefen Grube käme, aus der Auferstehung,