"T 209 Da gab die kleine ihre Haube hin inid setzte weinend ihre Umänderung fort. Ihre Süße wollten sie kaum noch tragen, aber die Zingst trieb sie vorwärts. Jetzt wurde der Wald licht, und Trudchen betrat eine sonnen- beglänzte Miese. Blaue Glockenblumen und rote Uelken standen im Gras, und bunte Schmetterlinge tanzten in der Luft. Aber Trudchen dachte nicht daran, Schmetterlinge zu sangen oder Blumen Zu pflücken. Sie setzte sich ins Gras nieder und weinte und schluchzte, daß es einen Stein in der Trde hätte erbarmen müssen. Da kam aus dem Wald geschritten ein alter Mann mit einem langen, grauen Bart. Cr trug auf dem Lopf einen großen Hut mit breitem Rand und einen weißen Stab in der Rechten. Hinter ihm her flogen zwei Raben. Durch die Gipfel der Lichen ging ein Brausen, und Bäume, Büsche und Blumen neigten sich. Der Mann kam geradeswegs auf Trudchen zu, blieb vor ihr liehen und fragte mit sanfter Stimme: „warum weinst du, mein Lind?" Trudchen faßte Zutrauen zu dem alten Mann und erzählte, wer sie sei, und was ihr die bösen Tiere zu leid gethan. „Sei ruhig, Trudchen," sprach der Alte freundlich; „ich will dich nach Hause bringen lassen." Tr winkte den Raben. Diese flogen ihm auf die Schultern und lauschten aufmerksam den Worten, die der Mann zu ihnen sprach. Dann schwangen sie die Slügel und flogen pfeilschnell fort. Cs dauerte nicht lange, so kamen sie wieder zurück; aber sie brachten noch jemand mit: das war der Storch. wie der Storch des alten Mannes mit dem breiten Hut ansichtig wurde, verneigte er sich so tief, daß die Spitze seines roten Schnabels den Erdboden berührte, und dann stand er demütig da wie ein Unecht, der des Herrn Befehl erwartet. Und der alte Mann sprach: „Lieber und getreuer Meister Adebar, du siehst hier das verirrte Lind. weißt du, wo es da¬ heim ist?" Der Storch betrachtete die Lleine aufmerksam; dann klapperte er freudig mit dem Schnabel und sprach: „Ci, Herr wode, freilich beime ich das Lind; habe ich es doch selbst vor vier Jahren in das Grafenschloß getragen." Lesebuch für Höhere Mädchenschulen, 4. Schuljahr. 14