306 Gleichwie der Hirte schied er da die Böcke von den Schafen; Zu seiner Rechten hiess er steh’n die Fleifsigen, die Braven. Da stand im groben Linnenkleid manch schlichtes Bürgerkind, Manch Söhnlein eines armen Knechts von Kaisers Hofgesind. Dann rief er mit gestrengem Blick die Faulen her, die Böcke, Und wies sie mit erhobner Hand zur Linken, in die Ecke. Da stand im pelzverbrämten Rock manch feiner Herrensohn, Manch ungezognes Mutterkind, manch junger Reichsbaron. Dann sprach nach rechts der Kaiser mild: „Habt Dank, ihr frommen Knaben, Ihr sollt an mir den gnäd’gen Herrn, den güt’gen Vater haben; Und ob ihr armer Leute Kind und Knechtessöhne seid: In meinem Reiche gilt der Mann und nicht des Mannes Kleid!“ Dann blitzt sein Blick zur Linken hin, wie Donner klang sein Tadel: „Ihr Taugenichtse, bessert euch, ihr schändet euren Adel; Ihr feinen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht! Ich frage nach des Manns Verdienst, nach seinem Namen nicht!“ Da sah man manches Kinderaug’ in frohem Glanze leuchten Und manches stumm zu Boden seh’n und manches still sich feuchten. Und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt, Wen heute Kaiser Karl belobt, und wen er ausgeschmält. Und wie’s der grosse Kaiser hielt, so soll man’s allzeit halten, Im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den Alten, — Den Platz nach Kunst und nicht nach Gunst, den Stand nach dem Verstand: So steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland. Karl Gerok. 221. Der Greis mit dem Engel. Kampfesmüde pochte einst der grosse Kaiser Karl an der Pforte eines Klosters an; ihn drängte es, die Nacht im Gebete zu verbringen.