Engelien. Krummacher. von Schmid. 83 Geld aber weiß unser alter Vater nicht aufzubringen. Da haben wir zwei älteren Brüder uns denn verabredet, dieses Geld zu verdienen." „Nun wohl," sagte der Bauer, „wegen eurer brüderlichen Liebe will ich euch zehn Thaler geben, wenn ihr so fleißig arbeitet, daß ich damit zufrieden sein kann." Die beiden Brüder arbeiteten an den heißen Erntetagen unermüdet im Schweiße ihres Angesichts; sie waren morgens am frühesten auf und legten sich abends am spätesten zur Ruhe. Als die Ernte glücklich eingebracht war, bezahlte der Bauer ihnen die zehn Thaler und sprach: „Ihr habt euern Lohn redlich verdient, und da gebe ich jedem von euch noch einen halben Thaler darüber." „Wenn Geschwister einig leben, Treulich sich zu helfen streben, Kann es etwas Schönres geben?" Christoph von Schmid. 114. Erzählung aus dem Morgenlande. In der Türkei trieb ein sehr reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohlthat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ah, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Steine. Alle, die es sahen, verdroß es; aber niemand konnte erraten, warum der arme Mann den Stein auf¬ hob und. ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und niemand dachte daran, daß er ihn von nun an so hei sich tragen würde. Aber das that er wirklich. Nach Jahr und Tag verübte der reiche Mann einen schlechten Streich und ging deswegen nicht nur seines Ver¬ mögens verlustig, sondern mußte auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte .es nicht. Der Mann mit dem rätsel¬ haften Steine in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen. Aber wie von einem guten Geist gewarnt, ließ er ihn wieder fallen und ging mit bewegtem Gesichte davon. Daraus kann man erstens lernen: Man soll im Glücke nicht übermütig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und urme Menschen sein; denn es kann vor Nacht leicht anders werden, ul8 es am frühen Morgen war, und: Wer dir als Freund nichts uützen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden. Zweitens: Man soll seinem Feinde keinen Stein in der Tasche und keine Rache Jm Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen ließ und davonging, sprach er zu sich selbst so: „Rache 6*