251 α Sommer zog der oberste Gott der alten Deutschen, Wodan, mit den Seelen verstorbener seliger Helden im Winde durch die Lüfte und dieses Wehen milder Lüfte brachte die schwellenden Saaten zur Reife. Segnend schritten im Sommer lichte Göttinnen über die Gefilde und unter ihrem Tritte entsproßten Blumen und Früchte, Getreide und Flachs der frucht— baren Erde. In jedem Baume, in jedem Bächlein, in jeder Blume und in jedem Getreidehalme lebte ein Elf, ein freundliches, segnendes Wesen, das den Menschen wohl wollte und Wachstum und Gedeihen förderte. So aber blieb es nicht immer. Es kam die rauhe Winterzeit, Wodan und die übrigen Götter schliefen verzaubert. Der Himmel, der keine wärmenden Strahlen, keinen erquickenden und befruchtenden Regen, sondern eisigen Schnee herabsandte, war verschlossen. Durch die Lüfte zogen im heulenden Sturme finstere, dem Menschen feindliche Geister, und auch über die Erde schritten sie, Tod und Verderben bringend und besonders den Kindern auflauernd. In Island, das ja auch von Leuten deutschen Stammes bewohnt war, ging die Sage, daß eine fürchterliche Unholdin, Gryla mit Namen, im Winter umherziehe, unartige Kinder in ihren Sack stecke und später verzehre. Man glaubte auch, daß die bösen Geister, die zur Zeit der kürzesten Tage unter Geschrei und Gebrumm auf der Erde herumschwärmten, sich in Tiergestalten verwandeln könnten, und daher war es Sitte, Tiere, in welche sich der Meinung des Volkes nach diese bösen Geister am liebsten verwandelten, während jener Tage nie mit dem rechten Namen zu nennen. Noch heute darf man in einigen Gegenden Norddeutschlands die Maus während der Weihnachtszeit nur Bönlöper (d. h. Bodenläufer) und den Fuchs nur Langschwanz nennen. Freilich wissen die Leute, die das jetzt noch beachten, meistens keinen Grund dafür. So betrachtet man es z. B. in Mecklenburg als einen Spaß, und wer sich versieht und die verbotenen Namen einmal ausspricht, der muß eine kleine Geldstrafe zahlen, die später gemeinschaftlich vertrunken wird. Um zu begreifen, wie sehr unsere Vorfahren sich auf die Winter— sonnenwende, die ihnen die Hoffnung besserer, freundlicherer Tage brachte, freuten, muß man sich vergegenwärtigen, daß in jenen Zeiten unser Vaterland rauher war als jetzt, und daß von den Bequemlichkeiten, die uns jett den Winter oft recht angenehm machen, damals zumeist noch nicht die Rede sein konnte. Wenn wir das bedenken, so wundern wir uns nicht mehr über die Entstehung der Sage, daß mit dem Eintritte der Wintersonnenwende die Götter wieder auf der Erde einziehen und nach und nach die Oberhand über die bösen Geister gewinnen um die Erde wieder ihres Segens teilhaftig werden zu lassen. Auch von diesem zu Weihnachten stattfindenden Umzuge der Götter redet das Volk noch jeht, freilich ohne es zu wissen. Wenn wir den